Info Nr. 75
3.3.2024 Aleksander Geržina – Interview mit dem slowenischen Botschafter in der slowenischen Kärntner Kirchenzeitung Nedelja. Redakteurin: Mateja Rihter.
Titel des Interviews: „Minderheiten sind niemals ausreichend geschützt“.
1. Botschafter Geržina: „Ein Jahr vor meinem ersten Einsatz (2009-2013) in Wien entstand die große Koalition unter der Leitung von Kanzler Faymann. Selbstverständlich stand die Minderheitenfrage wegen der Errichtung von zweisprachigen Aufschriften im Fokus. Diesbezüglich hatten wir zwei Jahre intensive Arbeit in der Relation Wien-Klagenfurt-Laibach, wo wir versuchten, eine Kompromissformel zu finden, damit endlich die zweisprachigen Tafeln aufgestellt werden. Davon müsste es nach dem österreichischen Staatsvertrag, wie Sie wissen, annähernd 1.000 geben. Weil das Leben so ist, wie es ist, und weil Kompromisse ein Teil unseres Lebens sind, wurde damals die Zahl 164 erreicht. Das war ein ziemlich schmerzlicher Kompromiss auch für mich. (…) Sicher wird die ungelöste Minderheitenfrage fortgesetzt, denn Österreich hat seine internationalen Verpflichtungen des Art. 7 des Österreichischen Staatsvertrages noch immer nicht erfüllt. (…) Die Minderheitenorganisationen haben ihre Linie der Kommunikation mit den österreichischen Parteien und mit der Regierung in Wien. Öfters kommunizieren sie an der slowenischen Botschaft vorbei, was nicht falsch ist. (…) Das Minderheitenproblem ist selbstverständlich für die Beziehungen zwischen den beiden Staaten bedeutend. Ich würde mir wünschen, dass Österreich etwas mehr Verständnis hätte und erkennen würde, dass Minderheiten niemals ausreichend geschützt sind, weil sie von sich aus ein empfindlicher Teil des Volkskörpers sind und man für sie immer etwas mehr sorgen muss. Alle diese offenen Fragen: zweisprachige Gerichte, die Novellierung des Gesetzes betreffend die Zusicherung des öffentlichen zweisprachigen Schulwesens von der Krippe bis zur Universität könnten so verlaufen, wie es auch im Art. 7 des Österreichischen Staatsvertrages steht. Das sind Schlüsselfragen“.1
Der Staat Slowenien und seine Diplomaten agitieren also extrem für die Interessen der slowenischen Minderheit in Kärnten. Insbesondere der slowenische Generalkonsul in Klagenfurt ist diesbezüglich im permanenten Einsatz.
Für die eigene deutsche Minderheit in Slowenien gilt diese minderheitenfreundliche Perspektive nicht. Dafür gibt es kein „Verständnis“. Sie wird als eine in Slowenien seit Jahrhunderten beheimatete Minderheit nicht einmal anerkannt. Sie wird totgeschwiegen. Allerdings wird vom Einsatz der österreichischen Botschaft in Laibach im Interesse der deutschen Minderheit in Slowenien in den Medien kaum bzw. nichts berichtet.
2. Die slowenische Volksgruppe in Kärnten sei innerhalb von 100 Jahren von 90.000 Personen auf 9.000 geschrumpft. Ein Trauma, klagt Valentin Inzko.2
Im Vergleich dazu gibt es heute die deutsche Minderheit in Slowenien offiziell überhaupt nicht mehr. Sie zählte vor 100 Jahren sogar mehr als 90.000 Angehörige.
Die deutsche Minderheit wurde zu Kriegsende auch nach Ansicht slowenischer Historiker von den Tito-Partisanen durch Vertreibung und Tötung „vernichtet“. Boris Kidrič (damaliger slowenischer, kommunistischer Regierungschef) betonte im Dezember 1945 in Laibach, dass ihn die Rechte der deutschen Minderheit nicht interessierten, weil es „eine deutsche Minderheit nicht mehr geben wird“. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im kommunistischen Jugoslawien massive Bestrebungen, Spuren der deutschen Minderheit zu löschen und sie in Vergessenheit geraten zu lassen, so die Historiker Jože Dežman und Hanzi Filipič.3 Dazu Janez Stergar (Historiker, Vorsitzender des Klubs der Kärntner Slowenen in Laibach): „Während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach hörten in Slowenien die deutsche Minderheit (1921 sogar 41.514 oder 3,9% sowie 1931 noch 28.999 oder 2,5 % der Bevölkerung) und die aus einigen Hundert Mitgliedern bestehende jüdische Gemeinschaftpraktisch zu bestehen auf“.4
In Slowenien wurde in Sterntal (Kidričevo) nach dem Krieg für die Deutschen ein zentrales Konzentrationslager eingerichtet. Den Müttern wurden die Kinder abgenommen und in das Kinder-Konzentrationslager Ormož gebracht, wo viele verhungerten.5
Die nach Kriegsende von den Tito-Partisanen in Slowenien errichteten Konzentrationslager werden in Kärnten nicht thematisiert. „Auch in Šentvid bei Ljubljana, Kidrič (Sterntal), Škofja Loka und noch anderswo im slowenischen Gebiet vermissen wir klare Worte zu den Konzentrations- und Arbeitslagern, den Mordstätten, Gefängnissen und anderen drastischen Formen von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Bei uns wird systematisch das Gedenken an Ereignisse gelöscht, von welchen mehr als die Hälfte des slowenischen Volkes betroffen war. Die Wunden bleiben. (…) Und das ist sehr besorgniserregend. Denn der Verlust und das Löschen historischer Erinnerung zählen zu den wichtigsten Gründen für eine Wiederholung der unheilvollen historischen Fehler. Nur die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Erinnerung werden uns faktisch befreien!“, so die slowenische Historikerin Andreja Vailič Zver, ehemalige Leiterin des Studienzentrums für nationale Versöhnung in Laibach.6
Das Löschen der historischen Erinnerung betrifft insbesondere die deutsche Minderheit in Slowenien.
Wie in Slowenien war im Falle des Anschlusses Südkärntens an Slowenien auch eine „Vernichtung“ der Deutsch-Kärntner in Planung. Das diesbezügliche Konzept wurde im Rahmen des Slowenischen Nationalitäteninstituts (Institut za narodnostna vprašanja) vom slowenischnationalen Kärntner Dr. Luka Sienčnik ausgearbeitet. Die Deutschen hätte man schrittweise vertrieben. In der ersten Phase aus der Volksabstimmungszone A, dann aus der Zone B, in der dritten Phase aber aus Klagenfurt und Villach.7 In Kärnten fanden im Mai 1945 bereits Verschleppungen und Ermordungen statt. Im Hinblick auf den von den Briten erzwungenen Abzuges der Tito-Partisanen aus Kärnten bis 21.5.1945 ist das gewalttätige Vorgehen gegen die deutschsprachigen Südkärntner gestoppt worden.
3. Die physische Vernichtung der deutschen Minderheit hat zu einer Traumatisierung und Verängstigung der überlebenden deutschsprachigen Menschen geführt. Sie fordern nicht selbstbewusst ihre Rechte, sondern bitten und betteln um ihre Anerkennung. Dies seit Jahrzehnten ohne Erfolg. Nur wenige wagen es, als Repräsentanten der deutschen Minderheit aufzutreten.
Einer davon war Augustin Gril. Zu Jahresbeginn 2024 wurde er wegen der strittigen Abrechnung eines Kulturprojekts zu Hause von zwei Polizisten zwecks Einvernahme bei Gericht abgeholt. „Wenn ich nicht so ermüdet wäre, was das Unrecht betrifft, weil ich ein Deutscher und Gottscheer bin, hätte ich heute wahrscheinlich Selbstmord begangen“, so der verzweifelte und traumatisierte Angehörige der deutschen Minderheit in Slowenien. Er berichtete, dass ihm vor seinem Haus in Grosuplje zwei Polizisten sagten, dass sie ihn im Auftrag des Gerichtes in Novo mesto abholen: „Sie haben wenige Minuten Zeit und sie gehen mit uns“. Das Gericht beschuldigte ihn, dass er als Vorsitzender des Vereines Gottscheer Altsiedler in den Jahren 2013 und 2016 seine Position nützte, um 1859 Euro für andere Personen und 703, 94 Euro für sich zu vereinnahmen. Der Verteidiger ist davon überzeugt, dass die Vorführung nicht nur gesetzwidrig, sondern ausgesprochen erniedrigend und wegen des Gesundheitszustandes seines Klienten bedrohlich war.8
Es ist verständlich, dass bei solchen erniedrigenden Erlebnissen die furchtbaren Erfahrungen aus der Vergangenheit wieder hochkommen. Die traumatisierten und verängstigten Angehörigen der deutschen Minderheit in Slowenien sind bedauerlicherweise von jedweder menschlicher Obsorge ausgenommen. Sie müssen sich physisch und psychisch vernichtet fühlen.
Zu Jahresbeginn gab es in Slowenien eine heftige politische Diskussion über die Gewährung von kulturellen Rechten an die neuen Minderheiten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die neuen Minderheiten sollten das Recht auf einen muttersprachlichen Schulunterricht bekommen. Die neuen Minderheiten konnten vorerst ihre Forderungen nicht durchsetzen.9 Die „alte“ autochthone deutsche Minderheit nahm an dieser Meinungsbildung nicht teil.
4. Die Hilferufe aus Kärnten bleiben ungehört:
Heinz Stritzl, ehemaliger Chefredakteur der Kleinen Zeitung, bat kurz vor seinem Tod in einem offenen Brief den damaligen slowenischen Staatspräsidenten Borut Pahor um Gerechtigkeit für Sloweniendeutsche: „Ihr Vorgänger, Janez Drnovšek, besuchte Untersteirer und Gottscheer und warb für Verzeihen und Verständigung. Dieser Schritt sollte 72 Jahre nach Kriegsende ehrlichen Herzens getan werden. Sehr geehrter Herr Staatspräsident, beweisen Sie bitte Großmut gegenüber der kleinen deutschen Volksgruppe. Es ist aufgrund meines Alters der letzte Brief, der Sie erreicht“.10
Laut Stritzl sollte die „am Hungertuch nagende altösterreichische Volksgruppe“ vorrangig behandelt werden.11 „Die Deutschen wurden im Nachbarland nach Kriegsende wie Freiwild verfolgt und getötet“, so Stritzl.12
Österreichische Politiker setzen sich allerdings nicht konsequent für die deutsche Minderheit in Slowenien ein:
Am 18.7.2022 gab es beim Perschmannhof (Peršmanhof) in Koprein Petzen ein Arbeitstreffen von LH Peter Kaiser mit Sloweniens Präsident Borut Pahor. LH Peter Kaiser: „Ich freue mich, dass ich meinen Freund und slowenischen Staatspräsidenten Borut Pahor hier an einem sehr historischen Ort auf Kärntner Boden begrüßen darf. Es ist eine große Ehre für Kärnten sowie die Republik Österreich und ein wirklich guter Beleg des immer besser werdenden Verhältnisses der beiden Volksgruppenin unserem Land “.13 Die deutsche Volksgruppe in Slowenien blieb unerwähnt und ist von den besser werdenden Verhältnissen offensichtlich ausgeschlossen.
Am 24.4.2023 gab es in Wien ein Treffen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der slowenischen Amtskollegin Nataša Pirc Musar. Beide bekennen sich auch zum Schutz der slowenischen Volksgruppe in Österreich. Van der Bellen habe auch „neuerlich den Wunsch Wiens wiederholt, Slowenien möge die deutschsprachige Gemeinschaft in Slowenien anerkennen“, so die RTV-Aussendung. Auf diesen „Wunsch“ reagierte die slowenische Präsidentin nicht. In der ORF-Aussendung bleibt die deutsche Minderheit in Slowenien unerwähnt. 14 Im Rahmen der Pressekonferenz bekannte Van der Bellen, dass Minderheitenrechte Menschenrechte seien. Die beiden Gesprächspartner bekannten sich aber (nur) zum Schutz der slowenischen Volksgruppe in Österreich. Ein Bekenntnis zu den Menschenrechten der deutschen Minderheit in Slowenien war für die beiden Politiker kein Thema.15
Vor ihrem Wien-Besuch empfing am 20.4.2023 die slowenische Staatspräsidentin eine vielköpfige Delegation der Kärntner Slowenen in Laibach. Die Staatspräsidentin betonte bei dieser Gelegenheit: „Die Minderheitenrechte sind grundlegende Menschenrechte“. Sie versprach ihren Gesprächspartnern, dass sie die Bemühungen der slowenischen Volksgemeinschaft um eine „baldige langfristige und systematische Lösung dieser Rechte“ unterstütze. Alle waren der Meinung, dass man in der Person Van der Bellen einen aufrichtigen Gesprächspartner habe, mit dem ein regelmäßiger Dialog stattfindet.16 Slowenische Politiker pflegen vor ihren Treffen mit österreichischen Amtskollegen „ihre“ slowenischen Minderheitenvertreter zu Konsultationen zu empfangen. Österreichische Politiker verzichten auf Vorgespräche mit Vertretern der deutschen Minderheit. Auch Bundespräsident Van der Bellen dürfte die Vertreter der deutschen Minderheit in Slowenien vor seinem Treffen mit der slowenischen Amtskollegin nicht kontaktiert haben und stand somit der deutschen Minderheit als aufrichtiger Gesprächspartner nicht zur Verfügung.
5. Die Minderheiten seien niemals ausreichend geschützt, hält der slowenische Botschafter dezidiert fest. Die eigene deutsche Minderheit in Slowenien soll es aber, wie vom ersten kommunistischen slowenischen Regierungschef, Boris Kidrič, angeordnet, überhaupt nicht mehr geben. Die physische Vernichtung der Minderheit, also das Unrecht soll zu Recht werden. Für dieses Unrecht sind nicht nur slowenische, sondern auch österreichische Politiker verantwortlich. Es ist nicht nur vom politischen, sondern auch vom moralischen Versagen auszugehen.
Die Bemühungen um eine nachhaltige Friedensregion Alpen-Adria sind daher bis auf weiteres zum Scheitern verurteilt.
Eine ausgewogene und auf Reziprozität ausgerichtete Minderheitenpolitik wird hingegen zwischen Slowenien und Italien sowie zwischen Slowenien und Ungarn praktiziert. Bei einem Treffen wurde vom ungarischen Minister Tibor Navracsis und seinem slowenischen Amtskollegen Aleksander Jevsek am 24.3.2024 beispielsweise vereinbart, dass Slowenien und Ungarn weiterhin gemeinsam in der Grenzregion zugunsten der beiden Minderheiten, also der slowenischen und der ungarischen, investieren werden. Ungarn und Slowenien arbeiten im Bereich der Unterstützung der beiden Minderheiten zusammen, um „die Identität zu bewahren, das kulturelle Leben zu bereichern und die Wirtschaft zu stärken“.17
Warum ist diese gutnachbarliche Minderheitenpolitik zwischen Österreich und Slowenien nicht möglich?
1 Nedelja, 3.3.2024, S. 4, 5.
2 https://kaernten.orf.at/stories/3233886, 24.11.2023; https://volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3233882, 24.11.2023; https://www.gov.si/2023-06-13-svarc-pipan-in-arcon-o-zagot…, 13.6.2023.
3 Jože Dežman, Hanzi Filipič, Heiße Spuren des Kalten Krieges, Hermagoras 2013,S. 51.
Siehe auch die slowenische Fassung „Vroče sledi hladne vojne“.
4 Meje slovenskega kulturnega prostora, Ljubljana 2014, S. 191.
5 Josef Lausegger, Zur Geschichte der Deutschen auf dem Abstaller Feld (Apaško polje) aus Kärntner Sicht, in: Carinthia I 2020, S. 695 ff.
6 Demokracija, 7.3.2024, S. 11.
7 Marjan Linasi, Koroški partizani, Mohorjeva Celovec 2010, S. 282, 283.
8 Slovenske novice, 7.3.2024, S. 2, 3; Bericht: Aleksander Brudar.
9 Reporter, 11.3.2024, S. 16.
10 Kleine Zeitung, 11.12.2017, S. 6.
11 Kleine Zeitung, 5.1.2018, S. 34.
12 KZ, 28.3.2017, S. 8.
13 https://www.ktn.gv.at/Service/News?nid=34734, 18.2.2022.
14 https://orf.at/stories/3313756/, 24.4.2023; https://www.rtvslo.si/slovenija/pirc-musar-upam-da-bodo-do-poletja-nasli-izvedljivo-resitev-gled…, 24.4.2023.
15 Novice, 21.4.2023, S. 6; In den Schulen Sloweniens ist die schlechte slowenische Sprachbeherrschung ein Problem. Eine Schulreform ist in Ausarbeitung, Quelle: https://novice.svet24.si/clanek/novice/slovenija/642ff7226e7d1/nez…, 7.4.2023.
16 https:/volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3203917/, 21.4.2023.
17 https://ungarnheute.hu/news/slowenien-und -ungarn-investieren-in-d…, 25.3.2024.