Teil 2 | Die Gemeinderatswahlen 2021 und die slowenische und türkische Ethnisierung der Politik.

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Ethnische Parteien gefährden die europäische Integration

4. Die Einheitsliste und die Separatisten…
Die Einheitsliste gehört der Europäischen Freien Allianz (EFA) an. Die Ausrichtung der EFA ist laut Wikipedia der Regionalismus und der Separatismus. Politische Vertreter der EL (Gabriel Hribar, Lena Kolter, Luka Hribar) nahmen am 31.3.2017 an einem EFA-Treffen in Kattowitz teil und informierten das Plenum über die Verfassungsdiskussion in Kärnten. Der Katalane Josep-Maria Terricabras erklärte sich bereit, dieses Kärntner Thema im Europäischen Parlament zur Sprache zu bringen und Gabriel Hribar dazu einzuladen. Die Partei des Katalanen Terricabras (die Republikanische Linke Kataloniens) tritt für eine Abspaltung Kataloniens von Spanien ein. Der ehemalige slowenische Außenminister Dimitrij Rupel leitete in Katalonien eine Beobachterkommission. Er geht davon aus, dass die Unabhängigkeit Kataloniens nicht mehr aufzuhalten sei. Beobachter (z.B. Valentin Inzko) erwarten danach einen Domino-Effekt.1
Der EFA gehören auch die sezessionistische, linksliberale Schottische Nationalpartei und die Neu-Flämische Allianz an; diese strebt die Unabhängigkeit Flanderns von Belgien an. Die politische Partei „Süd-Tiroler Freiheit“ ist auch vertreten. Sie setzt sich vehement für die Loslösung Südtirols von Italien ein.2
Der Beitritt der slowenischen Einheitsliste zur Allianz EFA wurde im Jahre 2006 vom Obmann Vladimir Smrtnik und den Funktionären Nanti Olip und Karl Hren in die Wege geleitet. Die Allianz EFA sei ein idealer Partner für die Enotna Lista auf europäischer Ebene, betonte Smrtnik.3
Hinweis: Im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland spielen Separatisten, die mit Moskau sympathisieren, eine entscheidende Rolle.4

 

5. Valentin Inzko und die ethnische Einheitsliste…
Der Hohe Repräsentant von Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, begrüßt das mutige Auftreten der slowenischen EL-Kandidaten ausdrücklich.5 Hingegen vertritt Inzko für Bosnien-Herzegowina eine anti-nationale Position: „Die bosnische Teil-Republik Srbska blockiert und droht unentwegt mit einem Abspaltungsreferendum, wie überhaupt maßgebende Volksgruppenführer erkannt haben, wie gut sie in den Ämtern leben können, wenn sie Angst vor dem ethnischen Nachbarn schüren. (…) Die Menschen in Bosnien sind ohnehin schon weiter als die politischen Führer…6 In Kärnten tritt Valentin Inzko selbst als ein maßgebender slowenischer Volksgruppenführer auf.

Bosnien-Herzegowina werde von ethno-nationalistischen Parteien der drei Volksgruppen – Bosniaken, Kroaten und Serben – beherrscht. Kritiker sprechen von einem mafiös-kleptokratischen System. In der bosnischen Stadt Mostar wurde im Vorjahr eine Anpassung der Wahlbezirke an die ethnische Verteilung der Bevölkerung vorgenommen. Damit seien die nationalistischen Parteien noch weiter gestärkt worden, kritisiert Majda Ruge, Expertin von der Denkfabrik European Counsil of Foreign Relations (ECFR). Die Expertin hofft, dass sich „aufgrund geänderter internationaler Konstellationen“ für Bosnien-Herzegowina neue Chancen auftun werden. Christian Schmidt (CSU) soll nämlich den Österreicher Valentin Inzko ablösen, der seit elf Jahren die Funktion innehat. Beides zusammen eröffne „die Chance für Fortschritte“ in Bosnien-Herzegowina, so Ruge. Klar ist aus Ruges Sicht, dass ein Zurückdrängen (…) der absoluten Macht der nationalistischen Ethno-Parteien in allen Volksgruppen nur gelingen kann, wenn EU und USA eng zusammenarbeiten. In Bosnien sei Inzko „für seine zurückhaltende Art“ immer wieder scharf kritisiert worden.7  
Der Expertin zufolge könnte man vermuten, dass Valentin Inzko wegen seiner persönlichen Orientierung gegen die Etho-Parteien zurückhaltend agiert hat. Inzko wird bekanntlich in Kärnten wegen seiner ethnisch-nationalen Agitation und der Annäherung an den „Mutterstaat“ Slowenien immer wieder scharf kritisiert. Zum Beispiel (Antonia Gössinger): „Inzko, der 2010 (zum Obmann des Rates der Kärntner Slowenen) gewählt worden war, enttäuschte mit seinem Verhalten rund um die Ortstafel-Frage alle Seiten. Mit seinem Hin und Her konnte die breite Öffentlichkeit, die endlich eine Lösung haben wollte, genauso wenig anfangen wie die Verfechter einer härteren Gangart innerhalb des Rates der Kärntner Slowenen. Zuletzt sorgte Inzko für Kopfschütteln, weil er jetzt (!), zwei Jahre nach den Ortstafelverhandlungen, Anzeige gegen Dörfler wegen eines angeblichen Bestechungsversuches erstattete“.8 Kärnten sei halt weiter, urteilte Alt-Landeshauptmann Gerhard Dörfler, „Inzko hat den Weg des Friedens und des Miteinanders verlassen“.9
 
Ein bewusstes „Zurückdrängen“ der slowenischen, ethnischen Einheitsliste ist in Kärnten nicht zu erwarten. Die EL dürfte in Österreich sogar politische Epigonen  finden, sobald die neuen Minderheiten ein nationales Gemeinschaftsbewusstsein entwickelt haben werden. Die negativen Folgen für die österreichische Innenpolitik sind nicht abschätzbar. Ein konkretes Beispiel dafür sind die österreichischen Türken, die bei den Wiener Gemeinderatswahlen 2015 erstmals kandierten.  

 

6. Die türkische Minderheit kandidiert auch…
Der Protagonist der „Türkischen Liste“, der Arzt Turgay Taskiran, gab im Jahre 2015 der slowenischen Wochenzeitung „Novice“ ein Interview und betonte sogar die Unabhängigkeit seiner Partei von der Türkei. Vergleichsweise ist anzuführen, dass eine Unabhängigkeit der slowenischen Einheitsliste von Slowenien bisher weder gefordert noch versprochen worden ist.
Trotz der zugesagten Unabhängigkeit von der Türkei stieß die türkische Listenerstellung in Österreich auf Widerstand. Von der SPÖ-Seite komme es wegen der Kandidatur sogar zu Druckausübungen, beklagte sich Taskiran. In der Kleinen Zeitung schrieb Michael Jungwirth: Eine ethnisch codierte, politische Bewegung läuft dem Integrationsgedanken zuwider und verstärkt die Kluft, unter der vor allem die Migranten gelitten haben. Eine solche Partei führt nicht ans Ziel, sondern in die Sackgasse.10 Die „ethnisch codierte“ slowenische Einheitsliste in Kärnten wird von der Kleinen Zeitung hingegen publizistisch unterstützt.
Aus der (ethnischen) Sicht der slowenischen EL wird die Kandidatur der türkischen Partei konsequenterweise befürwortet: „Wenn wir Europa nicht aus der Sicht der Nationalstaaten, sondern aus der Sicht der europäischen Völker betrachten, dann ist die Kandidatur der türkischen Partei bei den Gemeinderats- bzw. Landtagswahlen etwas Normales. Ich bin davon überzeugt, dass ein Europa der Völker (sic!) erfolgreicher sein wird als ein Europa der Nationalstaaten“, so die völkisch- nationale Position des EL- Obmannes Gabriel Hribar . Auch Bernard Sadovnik (Bürgermeister von Globasnitz) und Raimund Grilc befürworten die türkische Kandidatur. Die türkische Liste dürfe aber nicht von der Türkei abhängig sein, so Grilc.11
Warum dieser Österreich-Bezug für die slowenische Einheitsliste nicht gilt, wird in Kärnten (noch) nicht diskutiert: Im Jahre 1991 haben der österreichische Staatsbürger Jože Kopeinig (Rektor des Bildungsheimes Tainach) und der damals für die Slowenen zuständige Minister Janez Dular (Slowenien) im Tainacher Garten eine Linde eingesetzt, „die sich entwickelte, wuchs und hoch in den Himmel ragt“. An dieser Linde „erkennen wir vielsagend ein Symbol der Entwicklung des selbständigen Slowenien, des Mutterstaates aller, die slowenischen Blutes sind“. Der Priester Jože Kopeinig begrüßte mit diesen Worten zum 20. Jahrestag des selbständigen Staates Slowenien die Festgäste und wünschte für die Zukunft Sloweniens „Weisheit der Landsleute, Anständigkeit der Politiker, Kulturschaffende und Gottes Segen“. Die slowenische Generalkonsulin Dragica Urtelj dankte den Kärntner Slowenen: „mit uns habt ihr in Worten und Werken gelebt und gefühlt“. Minister Dular sprach von der Linde. Die Lindenblätter seien auch das Promotionssymbol Sloweniens gewesen. Der österreichische Diplomat Zdravko (=Valentin) Inzko betonte den österreichischen Beitrag für die Verselbständigung Sloweniens. Dies sei ein Wunder „denn wir (sic!) Slowenen hatten 1000 Jahre keinen eigenen Staat“.12 Es sprach auch Lojze Peterle. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von den Smrtnik-Brüdern und einer Gruppe aus Slowenien. Martin Kuchlink schrieb zu diesem feierlichen Anlass den Text: „Wie die Linde möge der junge Staat Slowenien aus starken Wurzeln in wuchtige Äste austreiben. Und uns alle, Slowenen, möge niemals Hoffnungslosigkeit befallen“.13

In Kärnten werden Wahlplakate nicht nur von der slowenischen Einheitsliste zweisprachig bzw. slowenisch verfasst. In Wien wird man sich an anderssprachige Wahlplakate erst gewöhnen müssen: „Alle unsere Wahlplakate sind in deutscher Sprache“, formulierte ein erboster Bundeskanzler Werner Faymann im Rahmen des NR-Wahlkampfes 2013. SPÖ und ÖVP betonten, dass ihre Kandidaten mit Migrationshintergrund ihren (türkischen) Zielgruppenwahlkampf selbst finanzieren. Der Kommentator nimmt Bezug auf die Zweisprachigkeit in Kärnten und fragt: „Wem tut das weh, wenn ein SPÖ-Kandidat auf Türkisch beworben wird?“ und er antwortet: „Dem Kanzler im TV anscheinend schon“.14
Den österreichischen Türken wird vieles verwehrt, was bei anderen Minderheiten eine Selbstverständlichkeit ist: Der türkische Premier Erdogan sei ein „Eskalierer“. Er mahnte, dass die türkischen Kinder erst Türkisch und dann Deutsch lernen müssten. Erdogan warnte seine Landsleute vor Assimilation. Er habe mit seinen Äußerungen die Feindlichkeit weiter aufgebauscht, wird in der Kleinen Zeitung von Ingo Hasewend kommentiert. Der türkische Staatschef Abdullah Gül erklärte bei seinen Ausführungen zur Integration rund 100.000 österreichische Staatsbürger türkischer Herkunft kurzum zu Türken. Kommentator Wolfgang Rössler stellt dazu klar, dass „die Austrotürken unsere Landsleute sind, nicht seine“.15 (Vgl.: Zu gleichlautendem Besitzstreben aus Slowenien gibt es keine Bedenken).
Der türkische Staat wolle die Auslandstürken nicht loslassen und vereinnahmt die Diaspora mit Worten und Vereinen, kritisiert „Die Presse“. Eine Umfrage aus dem Jahre 2010 ergab, dass sich rund 70 Prozent der Menschen aus der türkischen Community eher der Türkei zugehörig fühlten als zu Österreich (Vgl.: Die Verschränkung der Kärntner Minderheitenstruktur mit dem Staat Slowenien wird nicht thematisiert). Der türkische Botschafter habe auch seine Zuständigkeit für die bereits eingebürgerte oder hier geborene türkische Bevölkerung beansprucht und sagte „ihr seid meine Landsleute“ (Vgl.: Slowenien ist sogar laut slowenischer Verfassung für seine „slowenischen Landsleute“ in Österreich zuständig). Mehrere Organisationen kümmerten sich um die türkische Bevölkerung. Viele hätten Naheverhältnisse und „enge Kontakte“ zu türkischen Parteien und Institutionen, wird beklagt (Vgl.: Die slowenische Einheitsliste wird von Slowenien unterstützt, slowenische Vereine mit engen Beziehungen zu Slowenien sind eine Selbstverständlichkeit).
Die Türkei betrachte die Auslandstürken sogar als Teil der türkischen Nation, wird kritisiert (Vgl.: Die slowenische Volksgruppe sei laut Staatssekretär Dejan Valentinčič ein Teil der slowenischen Nation und erkenne gewissermaßen Slowenien als ihren Mutterstaat an; diese Feststellung wurde von den Experten Gerhard Hafner, Heinrich Neisser, Martin Pandel und Günther Rautz publiziert16). Es sei eine Liste von 2500 Personen mit türkischem Hintergrund erstellt worden, wird misstrauisch dokumentiert (Vgl.: Eine slowenische Namensliste wurde vom Slowenischen Weltkongress unter Lojze Dolinar erstellt).17

Die türkische Partei (neu: Soziales Österreich der Zukunft / SÖZ) fordert die Anerkennung der türkischen und der ex-jugoslawischen Volksgruppen. Die türkische und ehemals jugoslawische Gemeinschaft lebten bereits in vierter Generation in Österreich und hätten somit große Verdienste für die Entwicklung Österreichs erworben. Die Erhaltung und Förderung der Muttersprache in Schulen, die Amtssprache bei Behörden, der Grundsatz der Gleichberechtigung sowie verstärkte Minderheitenrechte sind die auschlaggebenden Argumente für diese Forderung, so der Obmann des SÖZ. Ein Vorteil wäre insbesondere die staatliche Unterstützung der anerkannten Volksgruppen.18  Eine Anerkennung der türkischen und anderen Minderheiten wird von der Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) strikte abgelehnt und die Idee als „absurd“ bezeichnet. Hingegen gilt eine Volksgruppe nach Ansicht des Verfassungsjuristen Gerhard Holzinger als „beheimatet“, wenn sie im Laufe von drei Generationen in einem bestimmten Bundesgebiet als wohnhaft nachweisbar ist. So könnten also Serben, Türken oder Kurden, die in dritter Generation in Österreich leben, sich durchaus organisieren und den Status einer anerkannten Volksgruppe einfordern.19
Es ist daher naheliegend, dass sich die neue türkische Minderheit hinsichtlich ihrer Forderungen auf die slowenische Minderheit in Kärnten beruft. Eine Gleichstellung von alten und neuen Minderheiten ist nicht unüblich. Im Rahmen der Aussprache zwischen den ehemaligen Präsidenten von Österreich und Slowenien, Heinz Fischer und Danilo Türk, wurde auch die Stellung der „deutschsprachigen Minderheit“ in Slowenien thematisiert. Dabei wurde den Gottscheern angeboten, in einem Beratungsgremium des slowenischen Parlaments, das für Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Serben, Kroaten und Bosniaken) eingerichtet worden ist, vertreten zu sein. „Wir müssen die Beziehungen zu den Minderheiten auf eine zeitgemäße Basis stellen“, erklärte Türk zu dieser Gleichsetzung von alten und neuen Minderheiten.20

Österreicher mit Migrationshintergrund beginnen also die politische Landschaft in Österreich zu prägen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund übersteige jenen der Volksgruppenangehörigen deutlich, konstatierte im Jahre 2012 Gerhard Hesse (BKA-Verfassungsdienst). Die Volksgruppendefinition werde man dieser neuen gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen Realität anpassen müssen. Man könne sich nun an der überkommenden Volksgruppendefinition und der Zuwanderung abarbeiten oder einen anderen Weg gehen, so Hesse bei einem Vortrag in Kärnten.21
Die vorausblickende Stellungnahme des Sektionschefs wurde von der Landespolitik ignoriert.
Im Jahre 2020 lebten in Österreich 2.070.100 Personen mit Migrationshintergrund.22

 

7. Migrationshintergrund in Kärnten…
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass in Kärnten insbesondere Slowenen mit Migrationshintergrund eine ethnisch-nationale Polarisierungsstrategie bevorzugen. Es handelt sich dabei um Nachfahren slowenischer Wirtschaftsflüchtlinge und jugoslawischer Sloweninnen und Slowenen, die nach dem Krieg aus dem kommunistischen Slowenien nach Kärnten geflüchtet sind (Valentin Inzko, Lojze Dolinar…). Nationalbewusste Kärntner Sloweninnen und Slowenen haben sehr oft Vorfahren aus dem benachbarten Slowenien. Aber auch Migrantinnen und Migranten selbst agitieren in der Kärntner Minderheitenpolitik und kritisieren ihre „Wahlheimat Kärnten“.23
Wenn heute die „Wiederkehr des völkischen Nationalismus“ befürchtet wird,24 dann muss berücksichtigt werden, dass auch die neuen Minderheiten (Türken, Serben, Bosnier, Polen…) im Geiste der Einheitsliste / Enotna Lista mit eigenen ethnisch codierten Listen in parteipolitische Auseinandersetzungen eingreifen könnten. Die österreichischen Türken in Wien sind beispielsweise die treuesten Fans des „Autokraten“ Recep Erdogan.25
Welche Schrittmacherdienste leistet eigentlich die Kärntner (ethnische) Minderheiten- Parteipolitik?

8. Lehren aus der Vergangenheit…
 „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten“, lautet ein viel zitiertes Sprichwort. Aus unserer Vergangenheit wissen wir, dass die völkische Weltanschauung mit dem „Instrument einer politischen Partei“ zu einer ungeahnten gesellschaftlichen Sprengkraft mutieren kann.26
Eine Binsenweisheit der Psychologie besage, dass es den Zusammenhalt einer Gruppe fördert, wenn sie Feinde hat. Politiker seien daher laufend auf der Suche nach Feindbildern, erkannte der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.27  Die Vergangenheit, auch in Kärnten, lehrt uns, dass nationale Gruppen (Volks-Gruppen, Volksgemeinschaften, ethnische Minderheiten und Mehrheiten) ohne die Konzentration auf den gemeinsamen Feind gar nicht existieren könnten. Daher geht von völkisch orientierten Parteien eine ständige Konfliktbereitschaft aus. Franz Josef Smrtnik sagte es ganz offen und ehrlich: „Ich spüre selbst, dass, sobald du keinen Widerstand hast oder zumindest keinen Gegner, wirst du ruhig und dann bemühst du dich auch nicht so sehr. Das heißt in den letzten 15 oder zwanzig Jahren gab es fast keine Konfrontation und keine Demonstrationen mehr und das lähmt die slowenische Volksgruppe. (…) keinen Protestmarsch, keine Demonstration und keine anderen Aktionen. Das fehlt mir. Ich muss sagen, ich habe oft die Angst, dass meine Kinder das nicht mehr so ernst nehmen werden wie ich“.28
Es ist daher verständlich, dass im Jahre 2011 nach der Ortstafellösung slowenische Jugendliche, deren Eltern zum Teil Spitzenfunktionäre der Einheitsliste sind, im Bezirk Völkermarkt zweisprachige Ortstafeln zerstörten.29Machen wir diese Gemeinde wieder zweisprachig“, sollte der Slogan der Einheitsliste nach Ansicht des Rat-Funktionärs Adrian Kert zukünftig lauten. Kert kritisiert, dass die Enotna Lista (= Einheitsliste) auch auf Deutsch bezeichnet wird und meint, dass deutschsprachige Kandidaten der slowenischen Sache schadeten.30 Da die Zweisprachigkeit (bei Volkszählungen usw.) generell der slowenischen Minderheit zugerechnet wird, bedeutet der Slogan im Klartext: „Machen wir diese Gemeinde wieder slowenisch“.  

Wir haben Kenntnis davon, dass mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus das bis Ende der 1930er Jahre währende Eldorado der Volksgruppentheorie begann. Der anerkannte Politikwissenschaftler  Samuel Salzborn geht daher davon aus, dass die erstrebte Umsetzung eines Europa der Volksgruppen eine immense Bedrohung der europäischen Nachkriegsordnung darstelle, da völkische Theoreme auch aus dem Umfeld des Nationalsozialismus positiv rezipiert und politisch umgesetzt werden sollen. Der Experte erwähnt ausdrücklich die österreichische
Minderheitenpolitik.31
Die Professorin Gudrun Hentges schließt ein Gutachten zur Minderheiten- und Volksgruppenpolitik in Österreich wie folgt: „Deutlich wurde aus den Ausführungen, dass eine so verstandene und konzipierte Minderheitenpolitik in einer völkischen Tradition steht, die integraler Bestandteil der NS-Ideologie war, nach 1945 von Volkstumspolitikern erneut etabliert wurde und keinesfalls geeignet ist, die Situation der Flüchtlinge oder der neuen Minderheiten zu verbessern, geschweige denn, Rassismus, Antisemitismus oder die extreme Rechte zu bekämpfen“.32
Weitere Volksgruppen-Parteien könnten diese völkische Tradition in den Extremismus führen.

Wenn österreichische Minderheiten, neben der slowenischen und der türkischen, weitere ethnisch agierende politische Parteien installierten, dürfte dies zu einer gefährlichen Spaltung der österreichischen Gesellschaft beitragen. Beobachter befürchten bürgerkriegsähnliche Zustände.
Kärnten kennt diese leidvollen Zustände auch aus den 1970er Jahren und sollte daraus die Lehren für die Zukunft auch im Interesse Österreichs und Europas ziehen.
Wie in Bosnien-Herzegowina sollte es in Hinkunft unser Ziel sein, die ethnischen Parteien „zurückzudrängen“. Während die deutschnationale Parteiarbeit mit Hilfe des Verbotsgesetzes (noch) ruhend gestellt werden kann, droht ein Wildwuchs an neuen ethnisch-nationalen Listen.

 

9. Dokumentationsstelle…
Von der Österreichischen Bundesregierung wurde im Jahre 2020 ein „Österreichischer Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus (Dokumentationsstelle Politischer Islam) eingesetzt.
Die Aufgaben der Dokumentationsstelle laut Integrationsministerin Susanne Raab: „Wir wollen mit der Dokumentationsstelle Politischer Islam Netzwerke und Strukturen durchleuchten, die Nährboden sind für Extremismus, die Nährboden sind für diese extremistische Ideologie des politischen Islam. Beispielsweise Vereinsstrukturen oder auch soziale Medien oder auch im Bildungsbereich, im Bereich Kindergärten oder Schulen, wo wir in Österreich auch da und dort einen Einfluss aus dem Ausland – aus der Türkei, aus Saudi-Arabien, aus anderen Ländern – feststellen müssen“.
Dokumentiert sollen also ausschließlich der „politische Islam“, seine Strukturen und entsprechende Parallelgesellschaften werden. Es gehe um Präventions- und Aufklärungsarbeit.33 Integrationsministerin Susanne Raab: „Das Integrationsbarometer ist ein spannender Seismograf, das unter anderem aufzeigt, wie wichtig der Kampf gegen den religiös motivierten Extremismus künftig ist“.34
Mit Hilfe der Dokumentationsstelle will man in Österreich also Gewalt und Bürgerkrieg sowie den diesbezüglichen  Einfluss aus dem Ausland abwenden. Eine Gefahr erblickt man aber primär im „politischen Islam“.
In Kärnten konnte man in den 1970er Jahren, als bei uns bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, nachhaltige Erfahrungen sammeln. Der politische Extremismus war aber nicht religiös, sondern national und ideologisch (kommunistisch) motiviert. Der direkte Einfluss aus dem Ausland kam nicht aus der entfernten Türkei, sondern aus dem benachbarten Slowenien und aus Kärnten selbst.
In einer Zeit des aufkommenden Nationalismus in ganz Europa erscheint daher die Konzentration auf den „religiös motivierten Extremismus“ bedenklich.

Wenn „eine ethnisch codierte, politische  Bewegung“ dem Integrationsgedanken zuwider läuft und eine solche Partei nicht ans Ziel, sondern in die Sackgasse führt, dann ist nicht nur die türkische Bewegung in Wien, sondern auch die slowenische Einheitsliste in Kärnten zu thematisieren.35

Mit der gegenständlichen Informationsplattform www.volksabstimmung-1920.at wird versucht, einen Beitrag zur Dokumentation „von national motiviertem politischen Extremismus“ bei uns und darüber hinaus zu leisten.
Dabei ist immer wieder zu beachten, dass die individuelle Pflege der Sprache und Kultur sowie der Religionszugehörigkeit durch türkische bzw. türkischsprachige Österreicherinnen und Österreicher oder slowenische bzw. slowenischsprachige Österreicherinnen und Österreicher bereits seit Jahrzehnten zur vielfälltigen österreichischen Identität gehört. Der Extremismus beginnt mit dem Missbrauch der Sprache, der Kultur und der Religion für die Pflege einer fundamentalen, kollektiven Volksgruppenidee im Sinne einer Volksgemeinschaft („narodna skupnost“), unter der Führung eines „Mutterstaates“.36
Wenn in Bosnien-Herzegowina von Demokraten die ethnisch-nationalistischen Parteien der drei Volksgruppen abgelehnt werden, dann müsste die Notwendigkeit eines demokratischen, anti-völkischen Widerstandes auch in Österreich, insbesondere in Kärnten, erkannt werden!

 

 

1 Volksgruppen.orf.at/slovenci, 3.10.2017; Kleine Zeitung, 13.10.2017, S. 9.

2 Novice, 14.4.2017, s. 22; de.wikipedia.org, Abruf: 17.4.2017.

3 Novice, 5.5.2006, S. 3; 19.5.2006, S. 5; 15.7.2005, S. 5.

4 Kleine Zeitung, 22.4.2021, S. 17.

5 https://volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3093119/, 3.3.2021.

6 Kronen Zeitung, 20.11.2020, S. 7.

7 https://orf.at/stories/3205556/, 20.3.2021.

8 Kleine Zeitung, 9.6.2013, S. 18.

9 Kärntner Krone, 11.10.2013, S. 20.

10 Kleine Zeitung, 10.8.2015, S. 5.

11 Novice, 31.7.2015, S. 2,3; Kleine Zeitung, 19.7.2015, S. 8, 10.8.2015, S. 10; www.uszs.gov.si,  Abruf: 28.6.2015.
Die „türkische Partei“ wurde im Jahre 2020  in „Soziales Österreich der Zukunft (SÖZ)“ umbenannt. Eine Beeinflussung der Partei aus dem Ausland wird ausgeschlossen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Österreich_der Zukunft, Abruf: 3.3.2021.

12 Valentin Inzko: „Das Heim des Dialogs in Tainach und das selbständige Slowenien sind Faktoren, die unser Selbstbewusstsein stärken. Wir sind eine kulturelle Großmacht“. Quelle: Novice, 30.4.2021, S. 2.

13 Novice, 24.6.2011, S. 8.

14 Die Presse, 19.9.2013, S. 2 (Kommentar: Oliver Pink).

15 Kleine Zeitung, 1.3.2011, S. 12, 10; 3.5.2011, S. 12.

16 Minderheiten und Mutterstaaten: Schutz oder Intervention?, Klagenfurt 2015, S. 217, 248.

17 Die Presse, 7.5.2011, S. 1-3 (Erich Kocina, Duygu Özkan).

18 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20200807_OTS0085/s…, Abruf: 4.3.2021.

19 https://www.derstandard.at/story/2000119554271/austrotuerken-al…, 25.8.2020.

20 http://kaernten.orf.at/stories/511142, 19.4.2011.

21 Kärnten Dokumentation 28/29, Klagenfurt 2013, S. 37 ff.

22 Kleine Zeitung, 9.9.2020, S. 2.

23 Beispielsweise die bekannte Migrantin Bernarda Fink, die „eine konsequentere Umsetzung des Staatsvertrages“ wünscht. Quelle: Kleine Zeitung, 20.8.2011, S. 78.

24 Peter Gstettner, Kleine Zeitung, 28.1.2021, S. 16.

25 Kleine Zeitung, 9.6.2015, S. 4.

26 Vergleiche dazu: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, München-Berlin 2016, Band II, S. 985.

27 Kleine Zeitung, 25.11.2013, S. 26.

28 Kärnten liegt am Meer, Klagenfurt 2012, S. 379.

29 Titos langer Schatten, S. 195.

30 Novice, 13.2.2015, S. 6.

31 Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik, Frankfurt/Main 2005, S. 16, 73.

32 Gudrun Hentges, in: Minderheitenkonflikte in Europa, Fallbeispiele und Lösungsansätze, Samuel Salzborn (Hrsg), Innsbruck 2006, S. 120.

33 https://de.wikipedia.org/wiki/Dokumentationsstelle_Politischer_Islam, Abruf: 22.4.2021.

34 Kronen Zeitung, 16.4.2021, S. 23.

35 Vgl.: Mit der Bildung einer politischen Partei „muss also der völkischen Weltanschauung ein Instrument geschaffen werden, das ihr die Möglichkeit einer kampfmäßigen Vertretung gewährt“. Dieses Ziel verfolge die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Quelle: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, München-Berlin 2016, Band II, S. 985.

36 Diese anti-völkische Position beschrieb Marjan Sturm (ZSO) im Bildungsheim Tainach im Jahre 1994 wie folgt: „Es gibt keine Kärntner Slowenen. Es gibt nur eine Südkärntner oder Kärntner Bevölkerung; die einen sprechen eine Sprache, die anderen zwei: Wir alle aber sind aufgrund der Lebensverhältnisse identisch“. Dazu äußerten sich „nationalpolitische Aktivisten“, u.a. der  Slowenische Staatssekretät Peter Vencelj: „Eine Einschränkung der nationalen Frage ausschließlich auf die Sprache, das kann ich nicht akzeptieren“. Jože Kopeinig, Rektor des Bildungsheimes in Tainach: „Eine Sonnenblume unterscheidet sich immerhin von einer Rose, die Linde von einer Eiche, der Wolf vom Schaf“. Damit wird unzweideutig rassistisch argumentiert! Quelle: Naš tednik, 21.1.1994, LPD Nr. 8/94.
Vgl.: „Der Fuchs ist immer ein Fuchs, die Gans eine Gans, der Tiger ein Tiger usw“. Quelle: Hitler, Mein Kampf Eine kritische Edition, München-Berlin 2016, Band 1, S. 741.