Mit dem Landtagsbeschluss vom 1.6.2017 wurde die „slowenische Volksgruppe in Kärnten“ im Artikel 5 der Kärntner Landesverfassung verankert und explizit genannt. Als „autochthone slowenische Minderheit in den Nachbarländern“ schien die slowenische Minderheit bereits vor dem 1.6.2017 auch in der Verfassung des selbständigen Staates Slowenien, übrigens ebenfalls im Artikel 5, auf. Im Rahmen der Auseinandersetzungen um die Verankerung der slowenischen Minderheit in der Landesverfassung wurde dieses Faktum nicht thematisiert. Den folgenden Gesetzestexten ist eine bemerkenswerte Verschränkung der slowenischen Minderheit mit dem Staat Slowenien, die in der europäischen Minderheitenpolitik einzigartig sein dürfte, zu entnehmen.
Artikel 5 der Verfassung der Republik Slowenien: „Der Staat sorgt für die autochthonen slowenischen Minderheiten in den Nachbarstaaten, sowie für die Auswanderer und die Gastarbeiter, und fördert deren Kontakte mit der Heimat (…).“ Im Gesetz über die Beziehungen der Republik Slowenien mit den Slowenen im Grenzausland wird die verfassungsrechtliche Vorgabe wie folgt konkretisiert, Artikel 5: „Die Slowenen im Grenzausland und in der Welt sind ein gleichwertiger Teil des einheitlichen slowenischen Volkes. Die Republik Slowenien ist die mütterliche Heimat (matična domovina) aller Slowenen außerhalb ihrer Grenzen und ist auch die Schutzmacht der autochthonen Volksgemeinschaften (auch: Volksgruppen) in den Nachbarstaaten“. Artikel 6: „Jene Gebiete der Nachbarstaaten, in denen die autochthone slowenische Volksgemeinschaft ansässig ist, bilden mit der Republik Slowenien den gemeinsamen slowenischen Kulturraum. Der Einsatz für die Erhaltung und Festigung des Slowenentums im gemeinsamen Kulturraum gehört zu den Hauptaufgaben der Republik Slowenien.“ Artikel 7: „Die Sorge für die Slowenen im Grenzausland und in der Welt ist ein untrennbarer und wesentlicher Teil der Außenpolitik der Republik Slowenien.“ Artikel 10: „Die Republik Slowenien ermöglicht und fördert die Einbeziehung der Slowenen des benachbarten Auslandes in das gesellschaftliche und politische Leben des Muttervolkes“. Artikel 13, 14: „Die Hauptträger der Kooperation zwischen der Republik Slowenien und den Slowenen im Grenzausland und in der Welt sind:
- Das Regierungsamt der Republik Slowenien für die Slowenen im Grenzausland und in der Welt. (…) Dieses Amt wird von einem Minister geführt.
- Die Kommission des Parlaments der Republik Slowenien für die Beziehungen mit den Slowenen im Grenzausland und in der Welt“.
Artikel 15: Das Regierungsamt ist für Aufgaben zuständig, die sich beziehen auf:
- die Slowenen im Grenzausland und in der Welt;
- auf ihre kulturelle, bildungsmäßige, wirtschaftliche und politische sowie andere Verbindungen zum Mutterstaat, der Republik Slowenien (…)“.
Artikel 20: “Der Beirat für die Slowenen im Grenzausland ist ein permanenter Beratungskörper der Regierung der Republik Slowenien (…).1 Dieser Beirat tagte am 5.12.2017 unter dem Vorsitz des slowenischen Regierungschefs Miro Cerar. Die slowenische Minderheit in Kärnten ist mit vier Mitgliedern vertreten. Die Mitglieder des Beirates waren sich darin einig, dass “der gemeinsame Kultur- und Wirtschaftsraum” auch faktisch aufleben wird, wenn „wir alle gemeinsam für die Lösung von Fragen und Herausforderungen zwischen Slowenien und den Nachbarländern eintreten werden, die sich auf die Situation der autochthonen Volksgruppe beziehen”.2
Artikel 5 der Kärntner Landesverfassung: „ Die deutsche Sprache ist die Landessprache, das heißt die Sprache der Gesetzgebung und – unbeschadet der der Minderheit bundesgesetzlich eingeräumten Rechte – die Sprache der Vollziehung des Landes Kärnten. Das Land bekennt sich gemäß Artikel 8 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu seiner gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Traditionen und kulturelles Erbe sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Die Fürsorge des Landes gilt allen Landsleuten gleichermaßen“.Ergänzend dazu Artikel 69a: „Die Landesregierung hat dem Landtag jährlich bis spätestens 30. Juni einen Bericht über die Lage der slowenischen Volksgruppe in Kärnten vorzulegen, der zu veröffentlichen ist“.
Anmerkung: Im Zusammenhang mit der Verankerung der slowenischen Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung erklärte daher der slowenische Staatspräsident Borut Pahor nach dem Treffen mit dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser am 12.3.2017, dass Slowenien wegen seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, bei der Suche nach einem Kompromiss behilflich sein wird.3Nach der Aussprache mit dem österreichischen Bundespräsidenten am 24.5.2017 hob der slowenische Staatspräsident hervor, dass es wesentlich sei, dass Österreich den Staat Slowenien als Nachfolgestaat betreffend den Art. 7 des Staatsvertrages 1955 akzeptiere und auch danach handle. Dies beweise laut Pahor auch die Tatsache, dass die Kärntner Landesregierung offiziell Beratungen mit der slowenischen Politik aufnimmt, wenn es um den Schutz der slowenischen Minderheit geht. Der slowenische Parlamentspräsident Milan Brglez hält die Verankerung der slowenischen Volksgruppe in der neuen Landesverfassung für äußerst bedeutsam, weil damit „die Anerkennung der Kollektivrechte für die Slowenen im österreichischen Kärnten“ gesichert ist.4
Die Verfassungsbestimmungen betreffend die slowenische Minderheit in Kärnten in der Kärntner Landesverfassung und in der Verfassung der Republik Slowenien werden völlig konträr interpretiert. Es ist dies keine erfreuliche Ausgangsposition für eine gute Nachbarschaft!
1 http://www.varuh-rs.si/pravni-okvir-in-pristojnosti/ustava-zakoni/ustava-republike-slo…, Abruf: 7.12.2017, http://www.pisrs.si/Pis.web/pregledPredpisa?id=ZAKO4387&print=1&tab=osnovi, Abruf: 7.12.2017.
2 http://volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/2882345, 5.12.2017, http://www.uszs.gov.si/si/medijsko_sredisce/novica/article/737/3596, 7.12.2017
3 www.rtvslo.si, 12.3.2017
4 http://www.rtvslo.si/index.php?c_mod=news&op=print&id=423167, 24.5.2017