„Deutsch-Windisch-Slowenisch“

Klagenfurt: 10. Oktober 2019
Klagenfurt: 10. Oktober 2019

Noch immer ein Streitthema

Wie lange noch?

Info Nr. 46

31.8.2021  Vortrag – Sprachwissenschaftler Univ. Prof. Heinz Dieter Pohl spricht zum Thema „Sprache und ethnisches Bewusstsein gezeigt an den Begriffen Deutsch/Windisch/Slowenisch“. Es ist dies eine Veranstaltung im Rahmen von Carithija 2020.1
(Zur Geschichte der Kärntner Windischen, siehe: Josef Lausegger, in: Carinthia I 2019, S. 697 ff.)

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die Sache klar: Vom Institut für Slawistik der Wiener Universität wurde festgehalten, dass es sich beim Windischen um einen slowenischen Dialekt, nicht aber um eine eigene Sprache handelt, es daher auch kein eigenes windisches Volk geben kann.2  Diese sprachwissenschaftliche Erkenntnis wird von der slowenischen Einheitsliste publiziert und entspricht der slowenischnationalen Denkweise. Die Verschränkung von Sprache und Volkszugehörigkeit entspricht aber auch der deutschnationalen Geisteshaltung.

Aus sprachwissenschaftlicher Sicht gibt es keine österreichische Sprache und es kann somit auch kein österreichisches (ethnisches) Volk geben. Die Existenz eines österreichischen Volkes und der Windischen wird also mit denselben Argumenten in Abrede gestellt.
Wenn man aus  sprachwissenschaftlicher Sicht die Existenz eines österreichischen Volkes in Frage stellt und die deutschsprachigen Österreicher als „Deutsche“ oder „Österreich-Deutsche“ bezeichnet, kann das zu Problemen mit dem geltenden Verbotsgesetz führen. Die in Kärnten (auch von Landespolitikern) geübte Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Slowenen“, bzw. zwischen zwei Volksgruppen (Volksgemeinschaften) ist aus rechtlichen Gründen abzulehnen. Die  Bezeichnung  „Österreich Deutsche“ hat der Verfassungsgerichtshof bereits im Jahre 1952 als Ausfluss des nationalsozialistischen Gedankengutes  qualifiziert. Diese Bezeichnung könne man nur dahingehend interpretieren, dass von einem Fortbestand des Großdeutschen Reiches ausgegangen wird.3 Ethnische (völkische, nationale…) Zuordnungen lassen sich also nicht mit sprachlichen, sondern nur zusätzlich mit rechtlichen, historischen, soziologischen, politischen und in Einzelfällen mit psychiatrischen Argumenten erklären.
Die Elsässer sprechen Deutsch und sind somit nach sprachwissenschaftlicher Logik ein Teil des deutschen Volkes. Wenn man dieser Logik folgte und  die Elsässer entsprechend ihrer Sprache als deutsche Volksgruppe mit dem Mutterland Deutschland einstufte, bewirkte dies eine Fortsetzung der historischen Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Eine europäische Integration wäre damit ausgeschlossen. Nach ihrem politischen Volksbekenntnis sind die Elsässer heute Franzosen (Theodor Veiter).4
Die Schweizer sind bekanntlich unabhängig vom Sprachgebrauch zu einem Schweizer Volk geworden.

Prof. Pohl ist ein verdienstvoller Sprachwissenschaftler (Namensforscher). Seine wissenschaftliche Sparte ist aber für die Beantwortung von nationalpolitischen Themen nicht allein zuständig. Das müssten eigentlich die Organisatoren gewusst haben. Die (nationale) sprachliche Ausgangslage dürfte gewählt worden sein, um damit am ehesten den slowenischfreundlichen Erwartungen im Rahmen von Carinthija 2020 entsprechen zu können.

– Nicht nur für den Sprachwissenschaftler Pohl sei „Kärnten als Heimat zweier ethnischer Gruppen“ zu verstehen. Diese Teilung der Kärntner Bevölkerung stimmt aber mit dem Faktum nicht überein, dass          „ heute das Vorhandensein einer österreichischen Nation, beziehungsweise eines österreichischen Volkes, überwiegend anerkannt ist“. Eine sprachliche Nationsbegründung würde die Einbeziehung der kroatisch-, ungarisch-, slowakisch-, romanes- und slowenischsprachigen Volksgruppen in den österreichischen Nationsbegriff erschweren, heißt es auf Wikipedia. Die Sprache werde zwar als wichtiger Initialfaktor der Nationsbildungsprozesse gesehen, sie habe aber diesbezüglich an Bedeutung verloren.5
Die Feststellung, dass im 19. Jhdt. den neuzeitlichen Karantanern plötzlich klar wurde, dass sie zwei Sprachen sprechen und folglich zwei verschiedenen Völkern angehören (Dieter Pohl), ist seit dem Zweiten Weltkrieg überholt. Die völkisch-nationale Aufsplitterung (zwei Volksgruppen, zwei Völker…) der österreichischen Kärntner Bevölkerung ist auch aus rechtlichen Gründen (Verbotsgesetz, s.o.) problematisch. Abgesehen davon gehen rennomierte slowenische Historiker davon aus, dass sich bereits nach dem Jahre 1848 der Ausdruck „Deutschtümler“, aber auch Renegat und Verräter, für jene „Slowenen“ (damals wie heute nennt man sie im Deutschen Windische) durchsetzte, die sich im deutsch-slowenischen Konflikt den Deutschen angeschlossen hatten. Diese „Windischen“ wurden von slowenischnationaler Seite den Deutschen zugerechnet: „Von den slowenischen Nationalideologen wurden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auch die Deutschen in mehrere Gruppen eingeteilt. Zur ersten gehörten die Deutschtümler, die als Renegaten und nationale Diebe besonders verachtet wurden“, berichten die slowenischen Historiker Peter Štih, Vasko Simoniti und Peter Vidopivec.6  Bereits nach dem Jahre 1848 kam es also zur Spaltung der ursprünglichen, indigenen Windischen. Ein Teil wurde zu nationalbewussten Slowenen, akzeptierte die neue slowenische Schriftsprache und die Idee eines Vereinten Slowenien. Der andere Teil blieb weiterhin völkisch-neutral, regional orientiert und behielt die Bezeichnung „Windisch“. Diese frühe Spaltung war bei der Volksabstimmung 1920 für Österreich von Vorteil und für Slowenien bzw. Jugoslawien vom entscheidenden Nachteil. Die Volksabstimmung 1920 ist Geschichte, die gegenseitige Abneigung ist aber geblieben.

– Führende Kärntner Slowenen (z. B. der Abgeordnete zum Kärntner Landtag Dr. Matthias Rulitz) haben sich laut Prof. Pohl einer Teilung des Landes Kärnten widersetzt. Rulitz wird allerdings in der slowenischen historischen Literatur als typisches Produkt der deutschen Kärntner Schule bezeichnet. Schriftslowenisch beherrschte er nicht, seine Vorstellungen über die slowenische Sprache waren nicht ausgereift.7 Aus slowenischnationaler Sicht war er also ein Deutschtümler oder Windischer. Auch an diesem Beispiel ist erkennbar, dass man mit sprachwissenschaftlichen Zuordnungen die Volksgruppenrealität falsch interpretiert.

– „Hier ist im Falle Kärnten für Windisch als eigene Sprache, auch als Mischsprache, kein Platz. Das Erbe kann nur deutsch oder slowenisch sein, beide sind konstitutiv und historisch gewachsen. Windisch erscheint als ein soziologisch und linquistisch nur schwer fassbarer vorübergehender Zustand“, urteilte der Sprachwissenschaftler Pohl, ohne zu bedenken, dass es sich dabei um keine linquistische Frage handelt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Windischen seit jeher, nicht unbegründet, kompromisslose Gegner einer slowenischen Volkszugehörigkeit sind (Bekenntnisprinzip!). Deutschsprachige Österreicher verstehen diese Position. Auch sie sprechen Deutsch und wollen keine Angehörigen des deutschen Volkes sein. Wenn „windisch“ soziologisch nur schwer fassbar ist, dann trifft das in einem noch größeren Maße für „österreichisch“ zu. Die Windischen dürften laut Andreas Moritsch sogar die Ersten gewesen sein, die ein nationales Bekenntnis zu Österreich abgegeben haben. Weder die Kärntner Slowenen noch die Kärntner Deutschen waren nämlich in ihrem extremen Ethnozentrismus in der Ersten Republik gewillt, sich mit der (ethnischen) Nation Österreich anzufreunden, so Moritsch.8  Für das „erste“ Österreich-Bekenntnis sollte man den Windischen aus staatspolitischer Sicht eigentlich dankbar sein.

– Laut Pohl war das Volksabstimmungsergebnis 1920 bei einem Teil der „Kärntner Slowenen“ ein pragmatischer Sieg über die nationalen Leidenschaften im Zuge des Auseinanderbrechens des „Völkerkerkers“ Österreich-Ungarn. Das bedeutet, dass nationale Kärntner Slowenen als Gegner der nationalen Leidenschaften aufgetreten seien. Dieser Annahme kann man anhand des Aktenbestandes des slowenisch-jugoslawischen Volksrates für Kärnten (Sitz: Völkermarkt zur Zeit der jugoslawischen Besetzung der Zone A) nicht zustimmen.9 Diese Dokumente bieten einen authentischen Einblick und beweisen, dass nationalbewusste slowenische Familien in Kärnten in Wahrheit mit größter „nationaler Leidenschaft“ für den Anschluss an Slowenien agitierten und die österreichbewusste Bevölkerung (Deutschtümler, Windische…) tyrannisierten.
Einem informierten Historiker Sloweniens zufolge hätten die slowenischen Kärntner Historiker kein Interesse gezeigt, diesen Aktenbestand, der in Slowenien lange Zeit unter Verschluss gehalten worden ist, zu studieren. Der Autor dieses Beitrages hat im Vorfeld  von Carinthia 2020 bei der Kulturabteilung des Landes ein diesbezügliches Projekt erfolglos eingereicht.  
Ein realistischeres Bild der Rolle der Kärntner „Slowenen“ vor 100 Jahren kann man der slowenischsprachigen Ausgabe des Internet-Lexikons Wikipedia entnehmen: „Die Kärntner slowenische Seite hat das Resultat der Volksabstimmung offensichtlich schockiert und sie konnte sich lange nicht damit abfinden. Innerhalb der slowenischen Volksgruppe (Original: Volksgemeinschaft) begann man mit gegenseitigen Vorwürfen, Streitereien und Ausgrenzungen. Jene Slowenen, die aus eigenem Ermessen für Österreich gestimmt haben, wurden zunehmend als Volksverräter behandelt und sie wurden für die Niederlage verantwortlich gemacht. Damit hat man sie ungewollt und unberechtigt in das sogenannte windische Lager getrieben“.10
Historiker kommen zu anderen Ergebnissen als die Sprachwissenschaft. Teodor Domej: „Was die slowenischen nationalbewussten Intelektuellen anbelangt, haben diese größtenteils die jugoslawische Option unterstützt. Es gibt ganz wenige Beispiele dafür, dass bewusste Slowenen gegen die Teilung des Landes aufgetreten wären“.11
Die Position des Historikers und Slawisten Valentin Einspieler erscheint daher nicht unverständlich: „Trotz der 16-monatigen Besetzung der Zone A haben mehr als 10.000 Windische den grünen Zettel abgegeben. Nun aber wird mit dem Versuch der Nationalslowenen, die Existenz der Windischen zu leugnen und sie zu Slowenen zu machen, zum letzten entscheidenen Schlag gegen das staatstreue Volk ausgeholt“.12
Carinthija 2020 steht (stand) allerdings im Zeichen des  „semantischen Tricks“ (Andreas Moritsch), wonach die Landeseinheit den Slowenen zu verdanken sei.13  Ohne Wahrheit kann es aber keine Versöhnung geben. Die Windischenfrage darf man daher nicht nur den Sprachwissenschaftlern überlassen.

Janez Stergar,
Volksgruppenexperte in Slowenien, ging vor Jahren in Kärnten von 30.000 bis
40.000 (!) Windischen aus, die man aus seiner Sicht mit slowenischen Janitscharen vergleichen könnte.14
Valentin Inzko (senior) war auch mit den Windischen um eine Versöhnung bemüht: „Wenngleich laut Volkszählung 1991 nur mehr 888 Personen als Windische erfasst worden sind, gebietet es die Besinnung auf das gemeinsame karantanische Erbe, alles zu verhindern, was einmal die Menschen in diesem Land getrennt hat. Denn nur in einem steten Aufeinanderzugehen ist unsere Zukunft“.15
Die Windischen gibt es also. Es existiert auch ein Verein der Kärntner Windischen.
Im Jubiläumsjahr 2020 war eine Versöhnung zwischen den „Slowenen“ und den „Windischen“ aber kein Thema.

Resümee:
Wenn es keine „Windischen“ gibt, gibt es auch keine (ethnischen) Österreicher. Dann sind die Österreicher (wieder) Deutsche und die Windischen (neuerdings) Slowenen. Diese völkische Zuordnung wird von den Österreichern seit Jahrzehnten und von den Windischen seit jeher abgelehnt.
Laut dem geltenden Volksgruppengesetz ist das Bekenntnis zu einer Volksgruppe frei. Niemand ist verpflichtet, seine Zugehörigkeit nachzuweisen. Diese Bekenntnisfreiheit muss für alle Österreicher gelten. Die bewussten Österreicher dürfen also „Österreicher“ und die bewussten Windischen „Windische“ sein!

1 Siehe: Heinz Dieter Pohl, Sprache und ethnisches Bewusstsein, in: Festschrift zur Vortragsreihe 1918-1920, KLM, 9-10/2020, S. 64 ff.

2 http://www.elnet.at/dossier/windische_und nationalslowenen, Abruf: 1.8.2019.

3 VfGH, Nr. 2459, Erkenntnis vom 17.12.1952; siehe auch: Erkenntnis vom 25.6.1988, Geschäftszahl B999/87.

4 Theodor Veiter, Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich, 1970, S. 286.

5 https://wikipedia.org/wiki/%C3%96sterreichische_Identit%C3%A4…, Abruf: 13.9.2021
      https://wikipedia.org/wiki//%C3%96sterreich“Identit%C3A…, Abruf: 13.9.2021

6 Slowenische Geschichte, Graz 2008, S. 243, 249, 262, 278.

7 Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte Kärnten/Koroška, Böhlau Verlag 2016, Band 3, S. 1145.

8 Austria Slovenica, Klagenfurt 1996, S. 24 ff.

9 Siehe dazu: Josef Lausegger, Der slowenisch-jugoslawische Volksrat (Nationalrat) für Kärnten, in: Carinthia I, 2019, S. 561 ff.

10 https://wikipedia.org/wiki/koro%C5%A1ki_plebiscit, Abruf: 9.10.2017.

11 Novice, 18.1.2019, S. 15.

12 Josef Tischler, Die Sprachenfrage in Kärnten vor 100 Jahren und heute, Klagenfurt 1957, S. 68-71, 75.

13 Austria Slovenica 1996, S. 60,66.

14 Delo. 19.7.1986, S. 23.

15 KZ, 2.2.1994, S. 4, 5.