Grafenstein: Minderheitenschule ohne Minderheit?

Probleme nun auch in Wien?
Ein Überblick

 

2.7.2020  Grafenstein – Volksschule: „Einsprachige“ bzw. deutschsprachige Lehrerin darf nicht Schulleiterin werden. Der Gemeinderat verabschiedet einstimmig den Antrag, aus dem Minderheitenschulsprengel entlassen zu werden. Bürgermeister Stefan Deutschmann:Der Antrag von uns soll wachrütteln. Auf die Minderheit ist zu achten! Aber wieso muss die Leiterin einer Schule mit Slowenischunterricht die Sprache perfekt beherrschen?“. In Grafenstein seien laut Deutschmann keine zweisprachigen Familien beheimatet.

Im Jahre 1958 sei protokolliert worden, dass an dieser Volksschule nicht in slowenischer Sprache unterrichtet worden ist. Deutschmann: „Schulen, die 1958/59 Slowenisch angeboten hatten, kamen in den Minderheitenschulsprengel. Warum Grafenstein?“ Der Bürgermeister glaubt, damit nachweisen zu können, dass bereits die Zuordnung Grafensteins zum zweisprachigen Schulbereich fehlerhaft gewesen sei. Während die Festschreibung des Minderheitenschulgebietes auf einem Bundesverfassungsgesetz beruht, sei die für die Schulleiter geforderte Slowenisch-Qualifikation in einem Ausführungsgesetz des Landes festgelegt, so Deutschmann laut Kleine Zeitung. Deutschmann fordert wie FPÖ-Chef Gernot Darmann und FPÖ-Bildungssprecherin Elisabeth Dieringer-Granza, dass die (slowenische) Sprachkenntnis nur ein und nicht das maßgebliche Kriterium für die Direktorenbestellung sein dürfe.1

Rückblick
Laut Novice vom 12.2.2016 habe der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Leiterbesetzung in Maria Gail entschieden, dass die zweisprachige Qualifikation nicht unbedingt erforderlich sei, obwohl das im Jahre 2013 beschlossene Lehrer-Dienstrechtsgesetz für Direktoren an zweisprachigen Schulen eine zweisprachige Qualifikation bestimmt hatte. Der damalige Präsident des Landesschulrates Rudi Altersberger hatte dem gegenüber die Beherrschung der slowenischen Sprache gefordert.
Am 23.6.2016 wurde beim Kärntner Landtag eine Petition, betreffend die Ausschreibung von Leiterstellen an zweisprachigen öffentlichen Volksschulen von den Landtagsabgeordneten Franz Wieser (ÖVP) und Jakob Strauß (SPÖ), eingebracht. Die Anforderung der slowenischen Sprachkenntnisse bewirke nach Ansicht von Bürgermeistern eine Privilegierung und Diskriminierung innerhalb der Landeslehrer. Dieser Ansicht wurde von LH Peter Kaiser, Rudi Altersberger, Sabina Sandrieser, Gerhard Visotschnig, Christian Funk u.a. entgegengetreten.2 Besonders scharf kritisierte im Rahmen einer Partisanenfeier am 26.6.2016  Bürgermeister Franc Jožef Smrtnik die Petition der Abgeordneten. Er sei auf den Widerstand gegen den Nazismus stolz. Die Gefahr einer Rückkehr der deutschnationalen Denkweise mache ihm aber Sorgen, was auch der Beschluss von Sozialdemokraten im Bezirk Völkermarkt auf Kosten der zweisprachigen Qualifikation von Direktoren bestätige. Gegen diese Schande für Kärnten – so Smrtnik – sollen Bundesrätin Ana Blatnik und LH Peter Kaiser energisch vorgehen. Smrtnik beendete seine Ansprache mit „Tod dem Faschismus“.3
Am 26.10.2016 schlug der slowenische Parlamentsabgeordnete Andrej Čuš in einem offenen Brief, gerichtet an den Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer, vor, Kandidaten für den Direktorenposten in Slowenien zu suchen.4
Am 21.10.2016 kritisierte die FPÖ (Christian Leyroutz, Josef Lobnig) eine Verordnung des LH Peter Kaiser, betreffend die Bestellung von (zweisprachigen) Schulleitern. Man wolle den Verfassungsgerichtshof einschalten.5 Sonja Kert-Wakounig entgegnete mit Hinweis auf die Situation in der Schweiz: „Das Modell heißt zweisprachige Bildung für alle in Kärnten, wenigstens aber im zweisprachigen Gebiet. Denn es ist ja nicht einzusehen, dass die einen diesen Bildungsvorteil erhalten und die anderen nicht“.6
Laut Lojze Dolinar (Team Kärnten) wäre gerade die SPÖ jene Partei, die mit einer ganzen Reihe ihrer faschistoiden Bürgermeister eine Hetze gegen ein wesentliches Element des Überlebens des zweisprachigen Schulwesens entfacht habe, nämlich gegen die zweisprachigen Direktoren. Im Team Kärnten habe man immer einen klaren Standpunkt zu Gunsten der slowenischen Volksgruppe eingenommen.7
Für die Slowenischsprachigkeit bei Direktorenbesetzungen setzte sich auch der oberste Lehrer-Personalvertreter Stefan Sandrieser (Gatte der „slowenischen“ Landesschulinspektorin) erfolgreich ein.8   

Vorbemerkung:
Bereits im Jahre 2025 soll laut Bildungsminister Heinz Faßmann Englisch als Pflichtgegenstand in das Schulsystem eingeführt werden. Diese europäische Sprachoffensive wird auch im „zweisprachigen“ Kärnten zu einer sprachlichen Horizonterweiterung führen. Man wird sich mit einer Neubewertung der unbefriedigenden Minderheitenschulregelung (s.u.) in Kärnten beschäftigen müssen. Das engstirnige Gedankengut von den „zwei Volksgruppen“ bzw. „zwei Volksgemeinschaften“ oder „zwei Völkern“ und den angeblichen „zwei Landessprachen“ wird der vielfältigen europäischen Realität anzupassen sein.
Es sei eine populistische Forderung auf dem Rücken der Kinder, wenn ein deutscher Politiker verlange, in Hinkunft in den Schulen verstärkt Minderheitensprachen zu lehren, so Bildungsminister Heinz Faßmann im Jahre 2019: „Sollte diese Diskussion auch zu uns kommen – was ich mir nicht vorstellen kann – würde ich dem Vorschlag eine klare Absage erteilen“. 9 Am 7.8.2020 wurde vom Obmann der Wiener Partei der österreichischen Türken (SÖZ), Hakan Gördü, die Anerkennung der türkischen Volksgruppe gefordert. Mit Bezug auf die Slowenen in Kärnten werde u.a. auch die Erhaltung und Förderung der türkischen Muttersprache in den Schulen gefordert, so Gördü. Die Integrationsministerin Susanne Raab erteilt dieser Forderung eine Absage: „Es gibt einen klaren Unterschied zwischen Migranten und Volksgruppen. Wenn jemand nach Österreich zuwandert, ist die Integration das Ziel“, sagte Raab.10 Die Ministerin meint mit dem Terminus „Integration“ offensichtlich die „Assimilation“, wozu aber auch die neuen Minderheiten nicht bereit sind.  Diese Argumentation erscheint problematisch, da alle Minderheiten und Mehrheiten einmal zugewandert und erst im Laufe der Zeit autochthon geworden sind. Was Kärnten betrifft, muss man  darüber hinaus wissen, dass die slowenische Minderheit seit dem 2. Weltkrieg von der Zuwanderung aus Slowenien nachhaltig gestärkt wird. Die Slowenenführer mit Migrationshintergrund, z.B. Diplomat Valentin Inzko, setzen sich besonders energisch für ihre slowenischen Minderheitenrechte ein. Die für die Schule in Grafenstein zuständige Schulinspektorin, Sabina Sandrieser, weist selbst einen Migrationshintergrund auf. In Kärnten sind die slowenischen Zuwanderer kein strittiges Thema (mehr).    
Der Start dieser hitzigen Diskussion in Wien erinnert an die gespannte Atmosphäre im Kärnten der 1970er Jahre. Die Wiener Entscheidungsträger wären gut beraten, die Situation in den 1970er Jahren, als Kärnten am Rande eines Bürgerkrieges stand, zu studieren.

Man werde bei den Reformüberlegungen die Volksgruppendefinition einer neuen gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen, Realität anpassen müssen. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund übersteige jenen der Volksgruppenangehörigen deutlich: „Man kann sich nun an der überkommenden Volksgruppendefinition und der Zuwanderung abarbeiten oder einen anderen Weg beschreiten“, konstatierte Gerhard Hesse (Leiter des Verfassungsdienstes beim BKA) schon im Jahre 2011 bei einem Vortag in Klagenfurt.11 Die Politik ignorierte diese vorausblickende Stellungnahme des Sektionschefs.
Die in Grafenstein initiierte Schuldiskussion müsste die zuständigen Politiker also (endlich)  dazu ermuntern (laut Deutschmann „wachrütteln“), die Minderheitenschulregelung in europäischen Zusammenhängen zu sehen. Man wird dabei die Interessen der Mehrheiten, der alten und neuen Minderheiten und der Migranten ausgleichend zu berücksichtigen haben.

 „Perfekt Englisch oder defekt mehrsprachig?“, lautete das Thema eines Symposiums zur Sprachenvielfalt Europas.12

In Wirklichkeit gebe es „einsprachige“ Kärntner fast nicht mehr, denn größtenteils beherrsche man irgendeine andere Sprache. Das Erlernen der slowenischen Sprache sei dabei nicht wesentlich schwieriger als das Erlernen irgendeiner anderen Sprache, meint Daniel Wutti im Hinblick auf die notwendigen Slowenisch-Kenntnisse von Schulleitern.13
Bei der Schulleiterbestellung ist aber nur die Kenntnis der slowenischen Sprache ausschlaggebend. Auch das Niveau der deutschen Sprachkenntnisse spielt derzeit offensichtlich keine Rolle.

Mit der derzeitigen Minderheitenschulregelung unzufrieden:
Mit der derzeitigen pädagogischen Regelung ist auch die Landesschulinspektorin Sabina Sandrieser selbst unzufrieden. Sandrieser: Ziel ist, dass alle Schulen tatsächlich (sic!) im selben Ausmaß in deutscher und slowenischer Sprache unterrichten, denn nur dann, wenn man die Gesetze einhält, wird das Erlernen der slowenischen Sprache gegeben sein“.14
Hinweis: Von den Lehrerinnen und Lehrern wird die Vorschrift des Minderheitenschulgesetzes, wonach in beiden Sprachen im selben Ausmaß zu unterrichten sei, nicht befolgt. Der Grund: Diese Vorgabe ist in der Praxis für verantwortungsbewusste Lehrkräfte nicht umsetzbar. Da die Mehrheit der zum zweisprachigen Unterricht angemeldeten Kinder die slowenische Sprache größtenteils nicht versteht, könnten diese Kinder dem Unterricht in slowenischer Sprache nicht folgen. Diese schwierige Situation ist auch bei Kindern mit Migrationshintergrund mit fehlenden Deutschkenntnissen gegeben, weshalb sie bekanntlich in eigenen Deutsch-Förderklassen unterrichtet werden, damit sie danach dem Unterricht in deutscher Sprache folgen können. Dasselbe Problem liegt bei deutschsprachigen Schülern hinsichtlich der slowenischen Unterrichtssprache vor. Sandrieser geht auf dieses Problem der deutschsprachigen Schulkinder im Interview nicht ein und propagiert primär das Erlernen der slowenischen Sprache.
Die slowenische Abteilung in der Bildungsdirektion (Leitung: Sabina Sandrieser) ist seit dem 1.1.2019 nicht nur für den Slowenisch-Unterricht, sondern für alle Angelegenheiten an allen Schulen im Bereich des Minderheitenschulgebietes zuständig.15 Am 1.1.2019 wurde diese umfassende Zuständigkeit der slowenischen Schulinspektion mehr oder weniger stillschweigend eingeführt.  

Alle drei slowenischen Zentralorganisationen kritisieren die derzeitige „ungeeignete“ Minderheitenschulregelung.16

In Eisenkappel sprechen von den 65 Kindergartenkindern daheim nur fünf Slowenisch. In der Schule sind aber alle Kinder zum Slowenisch-Unterricht angemeldet. „Sie lernen aber sehr wenig“, so Bürgermeister Smrtnik.17

Olga Voglauer, slowenischnationale Kärntner NR-Abgeordnete der Grünen, ortet „ein großes Problem“. Im heurigen Schuljahr (Anm.: 1919/2020) gebe es weniger als hundert Schüler mit slowenischer Muttersprache, die restlichen mehr als tausend Schüler wären zum Slowenischunterricht lediglich angemeldet. Man müsse auch für die slowenische Sprache im Schulwesen, wie dies in Österreich für Mathematik und die deutsche und englische Sprache gilt, die Kenntnisse überprüfen: „Derzeit wird nicht geprüft, wie es mit der Qualität des Slowenischen und schließlich mit den Sprachkenntnissen aussieht. Meiner Meinung nach müssten die Kinder mit der Matura einen bestimmten Kenntnisstand erreichen, den man ständig überprüfen muss, wie dies für die anderen Sprachen gilt“. Sie bedauere es noch heute, dass sie nicht in Laibach das Gymnasium oder die Handelsakademie besucht hat.  
Voglauer könne sich eine Umsetzung der Erfahrungen des Minderheitenschulwesens auf den Unterricht von Migranten und Schülern mit Migrationshintergrund vorstellen.18

Auch der slowenische Generalkonsul in Klagenfurt, Anton Novak, kritisiert in seiner Dissertation die Minderheitenschule in Kärnten: „Es stellt sich nämlich die Frage, ob eine Schule, an der bei Eintritt in die 1. Klasse mehr als die Hälfte der Kinder nicht Slowenisch spricht und nicht aus slowenischen Familien kommt, die slowenische Kultur und Identität vermitteln kann“. Der slowenische Diplomat bezweifelt daher, dass die Schulregelung in Kärnten dem Artikel 30 der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes entspricht. Österreich müsse zur Gänze die Ausbildung der Angehörigen der slowenischen Minderheit in slowenischer Sprache regeln. Österreich verletze wegen der unerfüllten Verpflichtungen gegenüber der slowenischen Minderheit in Kärnten und in der Steiermark die Menschenrechte der Minderheitenangehörigen und erfülle somit in diesem Bereich nicht die Kriterien eines demokratischen Rechtsstaates, so Anton Novak.19

Es ist auch erstaunlich, dass einzelne Maturanten des Bundesgymnasiums für Slowenen trotz der slowenischen Unterrichtssprache das Slowenische nicht beherrschen. 

 Geforderte slowenischnationale „Trendumkehr“
Von einigen Slowenenvertretern, insbesondere dem Rat der Kärntner Slowenen, wird eine Trendumkehr zu Gunsten des Slowenischen gefordert. Ein verpflichtendes zweisprachiges Schulwesen sollte eine Reslowenisierung einleiten.
Der Grafensteiner Gemeinderatsbeschluss steht diesem Trend entgegen.
Bemerkenswerterweise beruft sich der Rat der Kärntner Slowenen mit Obmann Valentin Inzko auf den Partisanenkampf. Man erwarte daher, dass man über die Wiedereinführung des verpflichtenden zweisprachigen Unterrichtes nachdenken werde.
Sonja Kert-Wakounig stellt die Frage, wie vielen Kindern nach dem derzeitigen Minderheitenschulsystem Sprachkenntnisse beigebracht werden, mit denen sie einem slowenischen Gespräch folgen könnten. Sie fordert: „Eine realistische Zweisprachigkeit soll im Wege eines allgemeinen zweisprachigen Unterrichtes in Kärnten allen Kärntnerinnen und Kärntnern ermöglicht werden“. Kärnten werde erst danach wieder frei durchatmen können, so die einflussreiche Minderheitenpolitikerin.20

Dabei müsste die bestehende Minderheitenschulregelung derzeit den slowenischen Interessen entgegenkommen: Der Anteil der slowenischsprachigen Kärntner, die in hochqualifizierten Berufen, also mit akademischer Ausbildung, tätig sind, sei nämlich seit Ende des 20. Jahrhunderts doppelt so hoch, wie der Anteil der Bediensteten mit akademischer Ausbildung innerhalb der Kärntner Mehrheitsbevölkerung, berichtet Milan Obid vom Slowenischen wissenschaftlichen Institut. Man könne also davon ausgehen, dass die Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in der österreichischen intellektuellen Kultur stark vertreten sind. Das sei eigentlich eine Besonderheit elitärer Gesellschaftsgruppen und nicht der Minderheiten. Milan Obid: „Der Großteil der jungen Kärntner Slowenen wächst in einem sozial relativ privilegierten Umfeld auf und das kommt natürlich in ihrem Habitus zum Ausdruck“.21
Die zweisprachige Handelsakademie in Klagenfurt besuchen beispielsweise derzeit größtenteils (gut die Hälfte) Schülerinnen und Schüler aus Slowenien. 

Vor 100 Jahren 
Bei der Volkszählung 1910 gaben 49,9% der Grafensteiner Einwohner Slowenisch als ihre Umgangssprache an, bei der Volkszählung 1920 entschieden sich aber (nur) 11,9% für den SHS-Staat. Vor 100 Jahren war also eine überproportional pro-österreichische, antislowenische Einstellung der Grafensteiner gegeben.
Am 6.7.1919 wurde in Grafenstein anlässlich der slowenisch-jugoslawischen Besetzung der Zone A von einheimischen Slowenen ein slowenischer, pro-jugoslawischer Volksrat unter der Leitung des damaligen Ortspfarrers eingerichtet. Bei dieser Gelegenheit informierte der „Volksrat“ die jugoslawischen Besatzungsorgane über feindlich gesinnte, also österreichisch eingestellte, Grafensteiner. Der regierende Bürgermeister wurde durch einen slowenischen „Regenten“ ersetzt,  auch der „feindlich eingestellte“ Gemeindesekretär Petauer wurde abgelehnt. Die Hetze gegen „unseren Staat“ müsste nach Ansicht des örtlichen slowenischen Volksrates von der Gendarmerie gründlich untersucht und unermüdliche Hetzer gegen Jugoslawien allenfalls gnadenlos interniert werden. Als Gendarmerie-Wachtmeister war vor der Volksabstimmung 1920  Valentin Inzko, der Großvater Valentin Inzko, in Grafenstein im Einsatz.
Die slowenisch-jugoslawischen Verwaltung entließ in der Zone A alle Lehrer ohne Slowenisch-Kentnisse und alle deutschbewussten Lehrer. Für Ortstafeln und Geschäftsaufschriften war die slowenische Sprache maßgebend. Auch die Vor- und Zunamen wurden slowenisiert.22   

Den Grafensteiner Gemeinderatsbeschlusses kritisieren u.a.
LH Peter Kaiser
: „Davon halte ich überhaupt nichts. Man sollte wissen, dass Volksgruppenfragen im konkreten Fall Bundessache sind“.23
ORF (slowenische Abteilung) formuliert polemisch: „Die slowenische Sprache ist in Grafenstein unerwünscht“ und beruft sich auf LH Kaiser betreffend die „beiden Landessprachen“.24
 Antonia Gössinger, Kleine Zeitung: „Eine Frage der Qualifikation. (…) Dem Ansinnen der Gemeinde müsste eine Änderung des Verfassungsgesetzes vorausgehen, eine solche wird es nicht geben“, meint die offensichtlich gut informierte Chefredakteurin.25
Der Rat der Kärntner Slowenen (Obmann: Valentin Inzko), der Partisanenverband (Obmann: Milan Wutte) und weitere slowenischnationale Organisationen (ohne den Zentralverband slowenischer Organisationen und die Slowenische Gemeinschaft) kritisieren drohend: „Dieser einstimmige (!) Beschluss des Gemeinderates der Marktgemeinde Grafenstein/Grabstanj ist ein gefährliches Fatal und ein Tabubruch. Ein heißer Herbst26, gerade vor dem 100 jährigen Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung und vor der Gemeinderatswahl im Frühjahr 2001 (richtig: 2021) könnte folgen, wenn sich populistische Politiker in anderen Gemeinden des zweisprachigen Gebietes ein Beispiel nehmen“.27
Nach Ansicht des Zentralverbandes slowenischer Organisationen (Obmann: Manuel Jug) und der Slowenischen Gemeinschaft (Obmann: Bernard Sadovnik) sei die Grafensteiner Forderung „antieuropäisch“.28
Olga Voglauer: „Kärntner spricht deutsch, soll nun in Grafenstein gelten, so die Politikerin in der slowenischen Kärntner Kirchenzeitung (!) „Nedelja“.29
Unter dem Titel „Eltern kämpfen für Slowenisch“ berichtet die Kleine Zeitung von einem Schreiben des Elternvereins (Obfrau: Maria Königshofer), womit die Beibehaltung der aktuellen Situation gefordert wird. Königsdorfer: „Sollte die Entlassung aus dem Sprengel vollzogen werden, nehmen Sie den Kindern die Möglichkeit, die derzeit bestehende hervorragende zweisprachige Ausbildung zu erhalten. (…) Durch den Beschluss droht der Verlust von Unterrichtseinheiten, in denen einem Viertel der Schüler Slowenisch beigebracht wird.30

Resümee:
Die Minderheitenschulregelung in Kärnten stellt nur bei oberflächlicher Betrachtung ein Sprachenthema dar. Es geht vielmehr um die völkisch-nationale Zugehörigkeit, um Dienstposten und um den nationalpolitischen Einfluss auf die Gemeindepolitik. Zweisprachige Personen werden nach österreichischer Rechtspraxis (Volkszählungen) automatisch der slowenischen Minderheit zugerechnet, was bei der Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln maßgebend war.31
Insbesondere in einem national umstrittenen Grenzgebiet übt die Schule einen entscheidenden Einfluss auf die völkisch-nationale Orientierung der jungen Generation aus. Deshalb gehörte es im Jahre 1919 zu den ersten Maßnahmen der slowenischen Besatzungsorgane in der Zone A, die deutschsprachigen Lehrer zu entlassen und durch slowenischnationale Lehrer zu ersetzen. Eine vergleichbare Maßnahme praktizierten dann die Nationalsozialisten zu Gunsten deutschnationaler Lehrer.
Im Jahre 1945 beschloss die Kärntner Landesregierung für ein Gebiet, das die ehemalige Zone A überragte, den verpflichtenden zweisprachigen Unterricht (1.- 3. Schulstufe). Man wollte offensichtlich auch deutschsprachige Orte einbeziehen, um im Falle einer neuerlichen Volksabstimmung wieder einen österreichischen Sieg zu erreichen. Im Jahre 1958 wurde eine Abmeldung vom zweisprachigen Unterricht ermöglicht.    

Slowenischsprachige Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere die Schulleiter, können im Einklang mit dem nationalbewussten Pfarrer und gelegentlich auch mit dem nationalbewussten Bürgermeister zweifellos eine völkisch-nationale „Trendumkehr“ zu Gunsten des Slowenischen in die Wege leiten. Der Zuzug von Migranten aus Slowenien verstärkt diese aus slowenischnationaler Sicht positive Entwicklung „in die Zukunft“. Bleiburg kann als Beispiel genannt werden. Wegen der slowenischen Zuwanderung sei Bleiburg zu einer slowenischsprachigen Stadt geworden. Auch deutsche Stadtbewohner bedienten sich zunehmend der slowenischen Sprache, wurde in Slowenien unter dem Titel „Slowenisierung des österreichischen Kärntens“ berichtet. Es bestehe ein „Klein Laibach“ mitten in einem österreichischen Ort.32
Mit der Regelung, dass nur noch slowenischsprachige Lehrer zu Direktoren bestellt werden können, dürfte die Politik den slowenenfreundlichen Bogen überspannt haben. Die ehemaligen slowenischen Landesschulinspektoren hätten allerdings mit ihrer kompromissbereiteren Vorgangsweise wahrscheinlich die offene Konfrontation verhindert.  

Auch hinsichtlich des Minderheitenschulwesens in Kärnten geht Slowenien als „Mutterstaat“ im Sinne des Artikels 5 der slowenischen Verfassung von einer Zuständigkeit Sloweniens aus. Am 1.3.2019 besuchte eine Parlamentsdelegation mehrere Schulen in Kärnten und „prüfte“ die Existenz der slowenischen Sprache vor Ort. In einer dafür zuständigen Parlamentskommission werde dann dieses Thema erörtert und auch Kärntner Slowenen werden den Beratungen beigezogen. Sabina Sandrieser sei nach slowenischer Ansicht für eine Kooperation mit der slowenischen Regierung zuständig.33
Der Kärntner minderheitenfreundliche Historiker Andreas Moritsch stellte im Jahre 1996 die Frage, ob der neue slowenische Nationalismus, den die slowenische Regierung zur staatlichen Konsolidierung mobilisieren muss, bei den Kärntner Slowenen den völkischen Irredentismus beleben könnte: „Diese Fragen lassen sich noch nicht beantworten. Vorerst soll es genügen, sie zu stellen“, so der besonders informierte Historiker.34  Das gesteigerte Interesse Sloweniens an Südkärntner Fragen lässt diese Fragen weiterhin aktuell und offen erscheinen.
Einen anderen Weg haben Deutschland und Frankreich beschritten. Deutschland beeinflusst die deutsche Minderheit im französischen Elsass nicht (mehr) und die dortige deutsche Minderheit bekennt sich nicht mehr zum deutschen Volk. Erst damit war der Weg für eine Aussöhnung frei, wovon ganz Europa profitieren konnte.

Die komplexe Frage der Schulleiterbesetzung in Grafenstein und anderswo in Südkärnten liegt in den Händen der Bundespolitik und wird vom Land Kärnten zweifellos stark beeinflusst werden. Bürgermeister Deutschmann darf aber mit seinem Gemeinderat für sich in Anspruch nehmen, übergeordnete Entscheidungsträger tatsächlich „wachgerüttelt“ zu haben. Man wird sich in Zukunft auf ein Schulmodell einigen müssen, das unserer pluralistischen österreichischen und europäischen Realität entspricht.
Es darf weder für mehr Englisch, mehr Türkisch, noch für weniger Slowenisch Denkverbote geben.
Da die notwendigen slowenischen Sprachkenntnisse bei Schulleiterbesetzungen, wie beispielsweise in Grafenstein, mit pädagogischen Argumenten begründet werden, müssten diese Argumente auch für die derzeit (noch) nicht anerkannten österreichischen Minderheiten, wie beispielsweise für die österreichischen Türken, gelten.
Die bisher auf Kärnten konzentrierten völkisch-nationalen Auseinandersetzungen breiten sich auf ganz Österreich aus.

 

1 Kronen Zeitung, 9.7.2020, S. 24; Kleine Zeitung, 12.7.2020, S. 20.

2 Novice, 1.7.2016.

3 Novice, 1.7.2016, S. 2,3.

4 www.volksgruppen.orf.at/slovenci…, 31.10.2016.

5 Kärntner Krone, 22.10.2016, S. 18.

6 Kleine Zeitung, 29.11.2016, S. 42.

7 Novice, 2.3.2018, S. 3.

8 Novice, 18.1.2019, S. 3.

9 Kronen Zeitung, 12.2.2019, S. 2.

10 https://www.krone.at/2207226, 8.8.2020; Kurier, 7.8.2020.

11 Gerhard Hesse, Autochthonie und neue Minderheiten – Grundlagen und Perspektiven für die Reform des österreichischen Volksgruppengesetzes, in: Kärnten Dokumentation 28/29, Klagenfurt 2013, S. 37- 41.

12 Der Standard, 7.6.2019, S. 38.

13 Novice, 17.7.2020, S. 2.

14 Novice, 20.10.2017, S. 4.

15 Hinweis: Die Verhandlungen über eine slowenische Kulturautonomie in den Jahren 1925 bis 1930 scheiterten an der Forderung der Kärntner Slowenen, für alle zweisprachigen Schulen einen slowenischen Inspektor einzusetzen. Am 24.6.1931 brachten slowenische Abgeordnete im Kärntner Landtag nochmals den Antrag ein, in dem die Landesregierung aufgefordert wird, bei der Bundesregierung dahingehend zu wirken, dass sämtliche slowenisch-deutsche Schulen des Landes einem slowenischen Schulinspektor unterstellt werden. Der Antrag wurde im Jahre 1931 abgelehnt. Quelle: Valentin Einspieler, Verhandlungen über die der slowenischen Minderheit angebotene Kulturautonomie 1925-1930, Klagenfurt 1976, S. 154.

16 Novice, 24.6.2020, S. 2.

17 Novice, 22.3.2019, S. 3.

18 www.rtvslo.si/svet/europa/koroska-sloven…, 18.7.2020.

19 Anton Novak, Pravno varstvo slovenske manjšine v Avstriji, Klagenfurt 2005, S. 57.

20 Novice, 17.7.2020, S. 6; Demokracija, 28.5.2020, S. 43, 261, 263, 264.

21 Novice, 9.2.2018, S. 2. Nedelja, 2.8.2020, S. 2.

22 Josef Lausegger, Der slowenisch-jugoslawische Volksrat (Nationalrat) für Kärnten, in: Carinthia I 2019, Klagenfurt, S. 561-601.

23 Kleine Zeitung, 11.7.2020, S. 21.

24 www. volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3057020/, 8.7.2020.

25 Kleine Zeitung, 11.7.2020, S. 15.

26 Im Zusammenhang mit dem Hinweis auf einen „heißen Herbst“ des Partisanenverbandes und des Rates der Kärntner Slowenen sind die 1970er Jahre in Erinnerung zu rufen als Kärnten am Rande eines Bürgerkrieges stand. Auch bei Grafenstein kam es am 11.11.1976 unmittelbar vor der Volkszählung besonderer Art zu einem Sprengstoffanschlag auf die Eisenbahnstrecke Klagenfurt-Bleiburg. In Zell-Pfarre wurde die Wahlurne gewaltsam geraubt und vernichtet. Damalige slowenische Aktivisten sind heute Führungskräfte beim Partisanenverband und auch beim Rat der Kärntner Slowenen. Siehe: Titos langer Schatten, Klagenfurt 2015, S. 460 ff; „Urnenraub“: S. 187, 249, 487, 509, 520.

27 www.nsks.at/aktualno_aktuell/detail/sl/odprto-pismo, 10.7.2020.

28 https://volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3059670/, 27.7.2020.

29 Nedelja, 19.7.2020, S. 2.

30 Kleine Zeitung, 15.7.2020, S. 23.

31 Kleine Zeitung, 12.7.2020, S. 20. Vgl. dazu Antonia Gössinger, „Das Spaltpotenzial Sprache“.

32 Novice, 30.6.2017, S. 10,11; Reporter, 21.3.2016, S. 36,37.

33 Novice, 8.3.2019, S. 4.

34 Austria Slovenica, Klagenfurt 1996, S. 23, 57.