Sind die Friedensidee und die Volksgruppenidee unvereinbar?
7.9.2019 Grilc – Interview mit Dr. Matevž Grilc unter dem Titel: „Für die Minderheit ist es lebensgefährlich, dass die Menschen nur ihren Frieden wollen“. Interviewerin ist die Gattin des bisherigen slowenischen Generalkonsuls in Klagen-furt Milan Predan. Grilc, ehemaliger Obmann des Rates der Kärntner Slowenen (NSKS), war neben Felix Wieser in den turbulenten 1970er Jahren einflussreichster Minderheitenpolitiker in Kärnten. Nun unterstützt er die „Zivilinitiative“ SKUP (=Slowenischer Konsens für Verfassungsrechte), womit wieder ein Bündel von slowenischnationalen Forderungen formuliert wird. Das Interview gewährt auch einen Blick in die Zeit des Bomben- und Geheimdienstterrors der 1970er Jahre.
Die Stärkung des Slowenentums habe er seinem Erzieher im Hermagoras-Schülerheim, Dr. France Cigan, einem Priester und Flüchtling aus Slowenien, zu verdanken. Cigan erzog die Schüler „im Geiste des Nationalbewusstseins“. Laut Grilc stammen auch einige seiner Vorfahren aus Slowenien.
Anmerkung: Daraus ist die Bedeutung der slowenischen Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg für die Festigung des slowe-nischen Nationalbewusstseins in Kärnten ersichtlich. Die Anhänger der Domobranci, die im Krieg mit den National-sozialisten kooperierten, flüchteten vor den Tito-Partisanen und fanden auch in Kärnten Aufnahme. Diese slowenischen Migranten haben ihre Kinder, wie in Slowenien üblich, betont slowenischnational erzogen. Die unzufriedensten Kärntner Slowenen haben daher nicht selten einen Migrationshintergrund.
Die slowenischen Studenten in Wien waren politisch sehr aktiv. Dazu Grilc: „Im Jahre 1968 waren wir schon so gut organisiert, dass wir Dr.Valentin Inzko sen. als Obmann des Rates der Kärntner Slowenen (NSKS) abwählen konnten, weil er im Konflikt, den wir Studenten mit dem Rektor des slowenischen Studentenheimes Korotan wegen seiner zu harten Disziplin führten, den Rektor unterstützte. Danach wurde Dr. Reginald Vospernik NSKS-Obmann. Auch er war nicht ganz in unserem Sinn tätig. (…) Weil wir engere Kontakte zu Slowenien haben wollten. (…) Die jugoslawische Politik beeinflusste immer die Situation der Kärntner Slowenen und war maßgebend. (…) Weil wir die Beziehungen mit Slowenien verbessern wollten, haben wir im Jahre 1972 an die Spitze des NSKS wieder Dr. Tischler, den pensionierten Direktor des Slowenischen Gymnasiums, berufen. Mit ihm kooperierten wir und haben verhältnismäßig schnell zu Slowenien die Beziehungen verbessert. (…) Bevor die ersten Maturanten des Slowenischen Gymnasiums aufgetreten sind, war es in Kärnten verhältnismäßig ruhig, denn eine slowenische Intelligenz hat es sozusagen nicht gegeben, vor allem keine junge. Als wir begannen, die slowenischen Namen auf Aufschriften slowenischer Ortschaften zu geben, haben wir aber den schlafenden Lindwurm geweckt.“
Anmerkung: Heute ist bekannt, dass Dr. Tischler als offizieller Mitarbeiter des slowenischen Geheimdienstes Udba aktiv gewesen ist. Auch auf den Klub slowenischer Studenten in Wien begann der slowenische Geheimdienst einen Einfluss auszuüben. Damit wird die Verschärfung der Minderheitenpolitik in Kärnten verständlich.
Das Gesetz des Jahres 1972, womit die Aufstellung von 205 zweisprachigen Ortstafeln beschlossen worden war, sei laut Grilc vom damaligen Kärntner Landeshauptmann Hans Sima und vom slowenischen Regierungschef Stane Kavčič vereinbart worden. Leopold Wagner habe die Slowenen gehasst. Im Frühjahr 1976 gingen die Verhandlungen mit Kreisky, an denen Grilc mitwirkte, zu Ende. Kreisky habe die Kärntner Slowenen darüber informiert, dass er den Druck aus Kärnten, womit eine Minderheitenfeststellung verlangt wird, nicht mehr aushält.
Anmerkung: Die offensichtlich geheime Vereinbarung zwischen dem Kärntner Landeshauptmann Sima und dem slowenischen Ministerpräsidenten Kavčič ist kein Unikum in der Kärntner Minderheitenpolitik; es ist bemerkenswert, dass Dr. Grilc davon Kenntnis hat. Auch Kreisky selbst verhandelte vertraulich mit slowenischen Unterhändlern. Im Mai 1976 war sogar ein geheimes Treffen mit Edvard Kardelj geplant, wegen dessen Erkrankung kam am 19.5.1976 aber der Politiker Bogdan Osolnik heimlich in das Büro des österreichischen Bundeskanzlers. Die Anbahnungsgespräche führte der Kabi-nettschef des Kanzlers.1
Auch die Verankerung der slowenischen Volksgruppe in der Kärntner Landesverfassung im Jahre 2018 ist ein Beweis dafür, dass die slowenisch-jugoslawische Politik tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Minderheitenpolitik in Kärnten ausüben konnte. Besonders erfolgreich erscheint die Beeinflussung der Minderheitenfrage in Kärnten im Wege der Attentate und Drohungen in den 1970er Jahren. Nun wird versucht, diesen Terror totzuschweigen.
Grilc: „Wir organisierten Demonstrationen, es kamen mehrere Tausend Menschen zusammen und wir hatten auch eine starke Unterstützung von Deutschsprachigen. Einige aus unseren Reihen aber gingen so weit, dass sie Sprengstoff einsetzten. Das war einerseits eine Folge von Verzweiflung…“
Zum Bombenattentat auf das Heimatmuseum im Jahre 1979 in Völkermarkt: „Das war das einzige Bombenattentat, das überaus deplatziert war und uns geschadet hat“, so Grilc.
Frage der Journalistin: Es ist noch nicht sehr lange her, als Sie auch in Slowenien erklären mussten, dass Sie persönlich damit nichts zu tun hatten und kein Mitarbeiter der Udba waren. Wie kam es, dass Sie als ein Politiker der christlich-demokratischen, also für das damalige Jugoregime unerwünschten rechtsgerichteten Option in das Mitarbeiterverzeichnis der politischen Geheimpolizei geraten sind?
Grilc: „Es ist kein Geheimnis, dass in der jugoslawischen Zeit im Klagenfurter Generalkonsulat immer ein Udba-Konsul war, der an Laibach vorbei im Wege der Botschaft in Wien nach Belgrad berichtete. Dies auch mich betreffend. Aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass die Wiener Botschaft diese Berichte sogar zu meinen Gunsten abänderte. Das war die Zeit, als in Kärntner zwei Gruppen mit Bomben beschäftigt waren. Eine Gruppe stand zweifellos unter dem Einfluss der Udba, die andere aber überhaupt nicht. Mit der ersten Gruppe hatte ich nichts zu tun, zum Vorgehen der zweiten Gruppe bin ich über manches informiert worden. Mich hat die Polizei bei jeder Gelegenheit, wenn es krachte, verhört, da sie der Meinung war, dass ich diese Aktionen organisiere, was aber nicht wahr war. Wahr war lediglich, dass ich für das Verhalten der anderen Gruppe der Kärntner Slowenen, die aber nicht mit der Udba verbunden waren, ein gewisses Verständnis hatte, denn es ging damals um Sein und Nichtsein. Es ging darum, ob die slowenische Volksgruppe überleben wird, und politisch hatten diese Aktionen eine bestimmte Auswirkung. Von der Völkermarkter Bombe wusste ich nichts, sie krachte aber in einer äußerst unpassenden Zeit im September 1979 als unser Boykott der Minderheitenzählung und die Demonstrationen schon lange vorbei waren und wir Kärntner Slowenen mit unserer Einheitsliste mit den Landtagswahlen beschäftigt waren. Unser Spitzenkandidat war Karl Smolle. Es ist klar, dass uns die Völkermarkter Bombe bei den Wahlen geschadet hat“.
Anmerkung: Das letzte Attentat schadete der slowenischen Minderheit, da erstmals die slowenischen Attentäter bekannt geworden sind. Nach den vorherigen Attentaten wurde von slowenischnationaler Seite die Legende verbreitet, dass die Attentate von intoleranten Deutschnationalen stammen und man damit die Kärntner Slowenen desavouieren wolle. Nach aktueller Geschichtsschreibung war aber das Gegenteil der Fall. Bereits im Jahre 2011 erklärte Dr. Grilc, dass er sich „auch wegen der Vorwürfe betreffend die Mitarbeit mit dem slowenischen Nachrichtendienst und wegen ähnlicher Lügen“ aus der Politik zurückgezogen habe, um die slowenische Politik in Kärnten nicht zu belasten.2
Der Wiener Historiker Thomas Riegler schreibt unter dem Titel „Von Titos Geheimdienst verschleppt, gefoltert und umgebracht“ ebenfalls, dass die Udba selbst Attentate verübte, um den Kärntner Minderheitenkonflikt anzuheizen. Allerdings wurden auch „die Attentäter, eine kleine Zelle von Kärntner Slowenen, von der Udba materiell und mit Ausbildungen unterstützt“. Riegler kündigte ein neues Buch an.3
Frage der Journalistin: Könnten Sie sagen, dass Ihre gesamte Auflehnung gegen die Entnationalisierungspolitik umsonst war?
Grilc: „Als Kanzler Kreisky, der sich vor den Kärntner Sozialisten fürchtete, aber mit uns geheime Gespräche führte, entscheidend in die Knie gegangen ist und sagte, nehmt die Minderheitenfrage selbst in die Hand, war dies vielleicht wirklich der Fall. Denn alle drei Kärntner Parteien hatten uns gegenüber dieselben ablehnenden Positionen, die vom KHD vorgegeben worden sind. Aber ohne diese Auflehnung hätten die Slowenen nicht überlebt. In den 1980er Jahren unter Kanzler Vranitzky, als unser Karl Smolle Nationalratsabgeordneter war, haben wir wegen der guten Konstellation der Kräfte mit unseren Forderungen hinsichtlich der zweisprachigen HAK, des slowenischen Programms im ORF, der finanziellen Förderung der zweisprachigen Kindergärten und der Tätigkeit unserer Organisationen den Durchbruch geschafft.“
Anmerkung: Es entsteht der Eindruck, dass Kreisky die Gewaltakte der 1970er Jahre geduldet hätte und „ohne diesen Widerstand“ die Slowenen nicht überlebt hätten. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass sich Südtiroler Attentäter angeblich auf Kreisky berufen konnten und der damalige Außenminister von den Anschlägen im Vorhinein Kenntnis hatte.4
Die Attentate in Kärnten haben sich aus slowenischnationaler Perspektive ausgezahlt; diese Überzeugung kann man von Aktivisten der slowenischen Minderheit nicht selten hören. Die Einschätzung dürfte leider zutreffend sein. Es ist zu befürchten, dass auch die neuen Minderheiten und Migrationsgruppen daraus ihre Lehren ziehen. Dann wäre nicht nur die österreichische, sondern auch die europäische Integration endgültig zum Scheitern verurteilt. Eine allgemeine Verurteilung des Terrors der 1970er Jahre und eine klare Ablehnung von Gewalt bei der Durchsetzung von Minderheitenregelungen sind bisher leider ausgeblieben.
Grilc: „In den 1980er Jahren nutzten die slowenischen Firmen die Regelung, die von Belgrad ermöglicht worden ist, und gründeten in Kärnten unter dem Vorwand, den Kärntner Slowenen zu helfen, viele gemischte Firmen. Das war eine siegreiche Kombination für alle, die Unternehmen aus Slowenien konnten somit den Bonus der EFTA ausnützen, wir Kärntner aber profitierten mit Arbeitsplätzen. Nach der Eigenständigkeit sind alle diese Unternehmen untergegangen“.
Anmerkung: Matevž Grilc unterlässt es zu erwähnen, dass diese gemischten Betriebe in erster Linie als verlängerte Arme des slowenisch-jugoslawischen Geheimdienstes Udba fungierten. Nach Ende des Kommunismus war somit ihre Aufgabe beendet.
Der erfahrene Volksgruppenführer Grilc setzt sich für eine gemeinsame Minderheitenorganisation ein. Als einziges logisches Argument gegen die Vereinigung der drei Volksgruppenorganisationen erblickt Grilc darin, „dass einige Minderheitenvertreter davon leben“.
Grilc unterstützt die Zivilinitiative SKUP (Slowenischer Konsens für Verfassungsrechte), weil sich seit 2011 nichts mehr bewegte: „Darin sind sowohl einige aus dem NSKS als auch von Partisanenseite vertreten, die Ideologie spielt dabei keine Rolle. Motor der Gruppe ist Rudi Vouk. (…) Ich meine, dass unsere Organisationen die Nachkriegsverhältnisse wider-spiegeln und überholt sind. Die Menschen werden von der momentanen guten Atmosphäre eingeschläfert. (…) Damit, dass die Menschen nur ihren Frieden wollen, wird es für die Volksgruppe lebensgefährlich – und ich fürchte, dass wir uns schon auf dem Weg befinden, dass von der Minderheit nur die slowenische Folklore übrigbleibt“.
Anmerkung: Die nationale Pressuregroup SKUP vereinigt also Vertreter des Rates der Kärntner Slowenen, der bekanntlich mit der katholischen Kirche vernetzt ist, mit Funktionären des Kärntner Partisanenverbandes. Im Gegensatz dazu gibt es in Slowenien eine extrem feindselige Kontroverse zwischen den Katholiken und den Traditionsträgern der Tito-Parti-sanen.
Laut Grilc waren Milan Kučan und Lojze Peterle die letzten Politiker, die für die Probleme der slowenischen Minderheit ein Interesse zeigten.
Dabei ist zu bedenken, dass es sich bei Kučan um den letzten slowenischen Kommunistenchef handelt und Peterle in slowenischen Medien der Vorwurf gemacht wird, ein Mitarbeiter der kommunistischen Geheimdienstes Udba gewesen zu sein und die Katholiken observiert zu haben. Slowenische Antikommunisten vertreten die Ansicht, dass ein Udba-Netz weiterhin meinungsbildend aktiv ist.
Resümee: Im direkten Konnex mit den gewalttätigen 1970er Jahren, als Kärnten am Rande eines Bürgerkrieges stand, erscheint der Slogan „Für die Minderheit ist es lebensgefährlich, dass die Menschen nur ihren Frieden wollen“ (Za manj-šino je smrtno nevarno, da ljudje hočejo le svoj mir) extrem beunruhigend. Mit Bezug auf die 1970er Jahre erklärte Grilc bereits im Jahre 2016, dass alle diese Aktivitäten notwendig waren. Diese Phase wäre der Höhepunkt der Politisierung der Kärntner Slowenen gewesen. Er stimme mit Rudi Vouk überein, der sich vor Wochen für eine dringende Repoliti-sierung der Kärntner Slowenen eingesetzt hat.5 Sogar der amtierende slowenische Bürgermeister Josef Franz Smrtnik vertritt ähnliche Positionen: „Ich spüre selbst, dass, sobald du keinen Widerstand hast oder zumindest keinen Gegner, wirst du ruhig und dann bemühst du dich auch nicht so sehr. Das heißt, in den letzten 15 oder zwanzig Jahren gab es fast keine Konfrontationen und keine Demonstrationen mehr und das lähmt die slowenische Volksgruppe. (…) Keinen Protestmarsch, keine Demonstration und keine andere Aktion. Das fehlt mir“.6
Diese Positionen entsprechen dem traditionellen Volksgruppennationalismus.
Eine Friedensregion Alpen-Adria ohne Ausstieg aus dem slowenischen und deutschen ethnischen Nationalismus erscheint daher undenkbar. Es sollte auch der Landespolitik zu denken geben, wenn der renommierte Politikwissen-schaftler Samuel Salzborn daran erinnert, dass mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten das bis zum Ende der 1930er Jahre währende Eldorado der Volksgruppentheorie begann. Laut Salzborn widme sich die FUEN (vormals: FUEV) in zeitaufwendiger und vielfältiger Detailarbeit der Schürung konkreter Volksgruppenkonflikte. Die Distanz zum National-sozialismus werde zwar gewahrt, die inhaltliche Grenze sei jedoch schwer zu ziehen.7 Nun wird im Rahmen des 100-Jahr Jubiläums der Kärntner Volksabstimmung von der FUEN die Fußballmeisterschaft „Europeada“ organisiert und vom Land Kärnten finanziert. Die Kärntner Konsensgruppe und die Bemühungen um eine Friedensregion Alpen-Adria werden von kämpferischen Volksgruppenvertretern ignoriert oder glatt abgelehnt.
In ganz Europa ist ein neuer Nationalismus im Vormarsch. Wenn vier von zehn Österreichern die Demokratie in Gefahr sehen, dann ist dies zweifellos auch auf den völkischen Nationalismus zurückzuführen.
Auch Kärnten läuft Gefahr, in eine Nationalismusfalle zu geraten!
1 Bogdan Osolnik, Med svetom in domovino, Maribor 1992, S. 290.
2 www.gorenjski glas, 21.2.2011.
3 Die Presse, 8.9.2019, S. 46 f.
4 Volkswille, 26.10.1972, S. 5; Die Presse, 21.5.2011, 11.6.2011.
5 Novice, 2. 9. 2016, S. 3.
6 Kärnten liegt am Meer, Hg. von Wolfgang Petritsch, Wilfried Graf, Gudrun Kramer, Klagenfurt 2012, S. 379.
7 Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik, 2005, S. 73, 214, 226. Salzborn befürwortet den individuellen Schutz der Menschen vor Diskriminierung und lehnt das kollektivrechtliche System der Volksgruppentheorie ab (S. 15).