Teil 2: Zehn Jahre (virtuelle) „Ortstafellösung“

2020: Klagenfurt, Arnulfplatz 1 (Sitz der Landesregierung)
2020: Klagenfurt, Arnulfplatz 1 (Sitz der Landesregierung)

Kritische Überlegungen zur Rolle des Herrn Bundespräsidenten

Info Nr. 49

2. Die Rolle des Bundespräsidenten beim Ortstafel-Festakt am 8.7.2021
– Alexander Van der Bellen belehrte die Kärntnerinnen und Kärntner: „Zweisprachigkeit nicht anzunehmen, heißt ein Geschenk zurückzuweisen“.1
Dazu ein Hinweis: Auch der Bundespräsident selbst hat das Geschenk der Zweisprachigkeit mit Unterstützung seiner russischsprachigen Eltern zurückgewiesen, da die Familie drei Mal vor den russischen Kommunisten flüchten musste.2 Er müsste daher Verständnis für jene Südkärntner aufbringen, die ebenfalls aus historischen Ängsten (Rudolf Maister, kommunistischer Partisanenterror, 1970er-Terrorismus…) dem Slowenischen den Rücken gekehrt haben.

– Laut Van der Bellen sei die Erhaltung von Kultur und Sprache im Interesse von uns allen: „Österreich ist aber auch heute noch ein Staat mit vielen verschiedenen Muttersprachen. Das ist etwas Schönes, Bereicherndes und sehr Europäisches“. Die Stärke einer Demokratie zeige sich auch darin, wie eine Mehrheit mit der Minderheit umgehe. Van der Bellen: „Gehen Sie in Kärnten weiter den Weg, den Sie so gut begonnen haben. (…) Die Muttersprache muss gepflegt werden. Sie muss in Krippen, Kindergärten, in den Schulen und im tertiären Sektor unterrichtet werden“.3
Im Gegensatz zu Kärnten wird die Pflege der Muttersprachen der viel größeren Minderheiten in Wien nicht thematisiert, obwohl in Wien der Anteil der Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache über 50 Prozent beträgt. Um die Integration in die österreichische Gesellschaft zu fördern, müsste der Bundespräsident also auch die türkische und andere Muttersprachen „als etwas Schönes, Bereicherndes und sehr Europäisches“ würdigen.  Warum sollten sich die türkischen u.a. Landsleute in die österreichische Gesellschaft integrieren, wenn ihre Sprache ignoriert wird? Erhard Busek machte zu recht darauf aufmerksam, dass die traditionellen Minderheiten mit den neuen, beispielsweise mit den Türken in Österreich, kooperieren müssten.4 In Österreich beherrschen die wenigsten Bürger in den Grenzregionen zu Tschechien, Ungarn und Slowakei die Sprache des Nachbarlandes. 5 Diese  brennenden Fragen werden in Kärnten erörtert und in anderen Bundesländern nicht nur vom Bundespräsidenten links liegen gelassen. Es wird mit zweierlei Maß gemessen.
Das Wiener Zentrum österreichischer Volksgruppen/CAN informierte im Jahre 2012 in Straßbourg das Europäische Parlament, dass in Wien vier autochthone Minderheiten lebten, die keinerlei Rechte besitzen. Die polnische Minderheit in Wien sei noch immer nicht anerkannt worden. Sogar die Afghanen seien in Wien zu einer „beachtlichen Volksgruppe“ angewachsen.6 Insbesondere für Wien wird in Fachkreisen gefordert, dass neben dem Schutz „der alten so genannten autochthonen Minderheiten der Schutz von neuen ethnischen, sprachlichen, religiösen und kulturellen Minderheiten, die auf österreichischem Staatsgebiet leben, in der neuen Verfassung verankert und deren Identität, Sprache und kulturelle Traditionen in ähnlicher Weise geschützt und gefördert werden“. Politisch habe die österreichische Volksgruppenpolitik die Funktion, nur den „Vorzeigeminderheiten“, also einer sehr kleinen Zahl anerkannter Volksgruppen,  Minderheitenrechte zuzugestehen, der weitaus größeren Gruppe von Migrant(inn)en nichtösterreichischer Staatsangehörigkeit jedoch elementare Bürgerrechte zu verweigern, stellt der renommierte Politikwissenschaftler Samuel Salzborn fest.7 Diese „Verweigerung“ betrifft  auch Minderheitenangehörige mit österreichischer Staatsbürgerschaft.
Es ist also im Hinblick auf die triste Minderheitensituation in Wien die kritische Äußerung des Bundespräsidenten nicht nachvollziehbar, wonach er die Kärntner Probleme mit der Zweisprachigkeit nie verstehen konnte.8 Aus Kärntner Perspektive könnte man die Wiener Probleme mit der Zweisprachigkeit ebenfalls als unverständlich kritisieren. Es wird auch vom Bundespräsidenten mit zweierlei Maß gemessen, womit Spannungen erzeugt werden können.

– Der Bundespräsident vermied es, bei der „10-Jahresfeier“ der Ortstafellösung auf die Sorgen der Kärntner Bevölkerung betreffend das Kernkraftwerk in Krško einzugehen. Beim diesjährigen Treffen der Präsidenten von Österreich, Slowenien und Kroatien thematisierte er dieses Gefahrenpotential indem er gleichzeitig aber darauf verwies, dass „sehr viele Staaten in der EU derzeit auf Atomenergie angewiesen sind“. Damit zeigte der österreichische Bundespräsident eher für Slowenien als für die besorgte Südkärntner Bevölkerung Verständnis.9  Die dringende Errichtung eines Endlagers für verbrauchte Brennstoffe wurde dabei nicht einmal zur Sprache gebracht. 10 In Slowenien ist sogar ein weiterer Ausbau des Kernkraftwerkes geplant.11 Kärnten hätte daher ein entschlosseneres Auftreten des Bundespräsidenten nötig.

– Bundespräsident Van der Bellen vermied es auch, endlich die Anerkennung der deutschsprachigen Minderheit in Slowenien zu fordern. Man müsste gleiche Maßstäbe wie in Kärnten anlegen, wird in Kärnten gefordert. 30 Jahre Missachtung der deutschen Minderheit in Slowenien seien genug, heißt es in Leserbriefen.12  Altösterreicher rufen nach Hilfe. Die deutschsprachige Volksgruppe kämpfe um ihr Überleben. Der Staat Österreich lehne sich zurück, konstatierte der Politologe Karl Anderwald bereits vor Jahren.13 Der Bundespräsident schwieg zu dieser menschenrechtlichen Frage, obwohl ihm der Verein der deutschsprachigen Alt-Kärntner zuvor eine Petition mit der Bitte um Unterstützung überreicht hatte. Dem Landeshauptmann  blieb es vorbehalten zu fordern, dass „solch ein Weg auch der deutschsprachigen Volksgruppe in Slowenien zuteil werde“. Slowenien pflegt allerdings auf diesbezügliche  Bitten des Landeshauptmannes nicht zu reagieren.
Ein klares Bekenntnis des Bundespräsidenten nicht nur zur slowenischen Minderheit in Kärnten, sondern auch zur deutschen Minderheit in Slowenien würde die bilateralen Nachbarschaftsbeziehungen versachlichen.
Die Präsidenten Borut Pahor (Slowenien) und Sergio Mattella (Italien) kontaktieren bei ihren bilateralen Treffen Vertreter der slowenischen Minderheit in Italien und der italienischen Minderheit in Slowenien.14  Es ist unverständlich, dass der österreichische Bundespräsident bei solchen Anlässen die Kontakte zur deutschen (altösterreichischen) Minderheit nicht einfordert.

– Eine „Kärnten-Koroška“ Tafel wurde vom Bundespräsidenten und vom Landeshauptmann demonstrativ präsentiert. 15 Damit bedient man sich eines semantischen Tricks. Die Zweisprachigen, bzw. die Zweisprachigkeit, werden nach der österreichischen Rechtspraxis grundsätzlich der slowenischen Minderheit zugerechnet. Die Zweisprachigkeit gelte als Synonym für das Slowenentum, stellte der ehemalige slowenische Generalkonsul Jože Jeraj dezidiert fest.16
Der ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete Johannes Gradenegger beschwerte sich sogar beim Europarat darüber, automatisch der slowenischen Volksgruppe zugerechnet worden zu sein, weil er bei der Volkszählung im Jahre 2001 sowohl Deutsch als auch Slowenisch als seine Umgangssprache angegeben hatte.17 Im Klartext wird mit der Propagierung eines zweisprachigen Kärnten-Koroška eine Verdrängung der („nur“) deutschsprachigen Kärntnerinnen und Kärntner vorgenommen18, was im Minderheitenschulbereich bereits gelungen ist. Die („nur“) Deutschsprachigen werden mit diesem Slogan zu Fremden in der Heimat. Dass weitere anderssprachige Landsleute zu Kärnten gehören und von einem (nur) zweisprachigen Land auch brüskiert werden, wird von den Politikern ebenfalls in Kauf genommen. Bereits im Jahre 2010 konstatierte Rudi Altersberger (SPÖ) 5.000 Schüler mit Migrationshintergrund, deren Unterricht in der Muttersprache vernachlässigt wird.19 Zum Stichtag 1.1.2019 lebten 12.800 Bosnier, 5.300 Slowenen, 3.900 Rumänen, 2.500 Ungarn und 2.600 Kroaten mit ausländischem Geburtsort in Kärnten.20 Für diese Landsleute gibt es – mit Ausnahme der Slowenen –  in einem (nur) zweisprachigen Kärnten keinen Platz. Aber auch die bei uns lebenden Bosnier wollen ihre Sprache und Kultur erhalten und wollen einen Dialog mit der Mehrheitsbevölkerung führen. Es fehlten insbesondere LehrerInnen mit Migrationshintergrund, wird von den geduldigen Bosniern argumentiert.21
Kärnten ist also nicht  „zweisprachig, Kärnten-Koroška“. Allenfalls lebten im 19. Jahrhundert hier (wie auch in Slowenien) zwei Völker /zwei Volksgruppen/zwei Volksgemeinschaften. Heute lebt in Kärnten und im gesamten Österreich das österreichische Volk. Österreich und alle seine Bundesländer sind grundsätzlich deutschsprachig (Staatssprache) oder aber in Hinblick auf die vielen Minderheitensprachen gemischtsprachig bzw. mehrsprachig.
Eine Präsentation des Bundespräsidenten mit einer Tafel mit einem zweisprachigen Wien-Dunaj  gemeinsam mit einem amtierenden Wiener Bürgermeister wäre undenkbar.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass vor dem Amt der Kärntner Landesregierung von  politischen Aktivisten im Jahre 2020 zahllose  Aufkleber mit „Kärnten-Koroška“ und „Bruhajte. Übergeben Sie sich“ angebracht worden sind. Zum „Übergeben Sie sich“ enthielt der Aufkleber eine Kärntenkarte,  die Erbrochenes suggerierte. Die Politiker befinden sich mit der Tafel „Kärnten-Koroška“ in schlechter Gesellschaft.

– Die  Politik und Medien in Slowenien scheinen „die streitbaren Kärntner Slowenen-Vertreter Rudolf  Vouk und Valentin Inzko“ als Gesprächspartner und Informanten mehr zu schätzen als die konsensorientierten, urteilte die Kleine Zeitung.22
Der Rat der Kärntner Slowenen (Valentin Inzko, Rudi Vouk…) protestierte regelmäßig gegen die ausgezeichnete Konsensgruppe.  Rudi Vouk kritisierte am 21.11.2011 anlässlich seiner Entgegennahme der Auszeichnung des Verbandes der Vereine „General Maister“  auch die Republik Slowenien, dass sie nicht aktiv genug gegen den „schlechten Kompromiss“ aufgetreten sei. Die Auszeichnung wurde für außergewöhnliche Verdienste bei der Bewahrung des ewigen Gedenkens an General Maister und seiner Kämpfer (die bekanntlich für den Anschluss Südkärntens an Slowenien mit Gewalt eingetreten sind) gewährt. Vouk wurde für seinen Einsatz bei der Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln gewürdigt. Kärntner Slowenen setzten mit ihrer Geduld, mit Selbstbewusstsein, mit einer gewissen Hartnäckigkeit und nachhaltiger Arbeit das fort, wofür auch General Maister eingetreten sei, wird im diesbezüglichen Bericht unmissverständlich festgehalten.23 Der Einsatz für zusätzliche  slowenische Ortsbezeichnungen wurde also nicht mit einem kulturellen Verdienstorden, sondern bezeichnenderweise mit einem Maister-Orden honoriert. Auch an dieser Ordensverleihung kann man erkennen, dass den Ortsbezeichnungen nicht nur eine sprachliche Bedeutung zukommt und damit nicht ein „Miteinander“ im Lande bezweckt wird. Der Ortstafeleinsatz  des Juristen Vouk wurde im Jahre 2012 auch vom slowenischen Staatspräsidenten Danilo Türk mit einem Verdienstorden honoriert. Der Staatspräsident stellte dabei klar, dass die Bemühungen fortzusetzen seien und es „zur Freude des gemeinsamen slowenischen Kulturraumes“ noch viele Erfolge geben wird. Vouk zufolge brauche man dabei die Hilfe Sloweniens und er bitte darum.24
Josef Feldner kritisierte die Verleihung des Verdienstordens an Rudi Vouk. Vouk habe wenig Kompromissbereitschaft gezeigt und die in Österreich über alle Parteigrenzen hinweg gewürdigte Ortstafellösung persönlich nicht mitgetragen. Mit einer Auszeichnung für die slowenischen Mitglieder der Kärntner Konsensgruppe, Marjan Sturm und Bernard Sadovnik, hätte Slowenien ein starkes Signal in Richtung grenzüberschreitendes friedliches Miteinander setzen und damit die Arbeit von verständigungs- und versöhnungsbereiten Kärntner Slowenen gebührend würdigen können. „Eine vertane Chance. Schade“, resümierte Feldner enttäuscht.25
Die Konsensgruppe wurde für ihren versöhnlichen Beitrag für die Ortstafelregelung gelobt und erhielt zahlreiche öffentliche Auszeichnungen, während  der Rat der Kärntner Slowenen die Konsensgruppe von Anfang an attackierte. Ana Blatnik (SPÖ) fand es bestürzend, wie der Rat der Kärntner Slowenen versucht hatte, die Arbeit der Konsensgruppe in den Schmutz zu ziehen.  Die Konsensgruppe und damit auch die beiden Vertreter der slowenischen Volksgruppe in die Nähe von Geschichtsrevanchismus oder gar NS zu rücken, sei an Gehässigkeit nicht mehr zu überbieten, so Ana Blatnik.26 Mit dem Bekenntnis: „Wir werden unseren Weg unbekümmert fortsetzen“, reagierte auf die Kritik der Rat der Kärntner Slowenen.27
Am 2.8.2021 verfasste RA Rudi Vouk (Obmann des Vereines der Kärntner slowenischen Juristen) für den Rat der Kärntner Slowenen (Obmann: Valentin Inzko) eine Stellungnahme zum 5. Staatenbericht zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. Betreffend die topografischen Aufschriften bzw. zur gepriesenen „Ortstafellösung“ heißt es in der Stellungnahme: „Eine Totalrevision der Ortstafelregelung ist juristisch gesehen daher unabdingbar (…). Generell bleibt jedoch festzuhalten, dass die Regelung, die im Verfassungsrang im Volksgruppengesetz getroffen wurde, völkerrechtswidrig ist und nicht dem Artikel 7 Z. 3 des Staatsvertrages entspricht. Österreich kommt seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen in dieser Hinsicht weiterhin nicht nach“.28
Welche Zeichen wollte der österreichische Bundespräsident mit seinem offiziellen Besuch am 9.7.2021 in Suetschach (Eröffnung eines Veranstaltungsgebäudes) und mit seinem Treffen mit Valentin Inzko und Rudi Vouk setzen?

3. Staatsoberhaupt, Ortstafeln, Staatsgrenze, österreichisches Volk…

Europas Separisten wittern Morgenluft. Vom Baskenland über Katalonien, Korsika und Schottland bis Flandern streben immer mehr Regionen in Europa offen nach Unabhängigkeit“, konnte man schon vor Jahren in der Kleinen Zeitung (Stefan Winkler) lesen. Europas Separatisten im Aufwind. Im neuen Europa gibt es eine Sehnsucht nach Selbstbestimmung. „Schottland war gestern, Katalonien folgt morgen – und was kommt dann?“, schrieb Die Presse. Putin tritt als Beschützer der Auslandsrussen auf und bindet erfolgreich die russischen Minderheiten an sich. Patriotismus und Nationalstolz schnellen in Russland in ungeahnte Höhen.29
– Die Separatisten sind untereinander vernetzt. Die katalanischen Separatisten kooperieren beispielsweise auch mit Slowenen dies- und jenseits der Karawanken.30
Nach der Staatswerdung Sloweniens stellte der erfahrene Kärntner Historiker Andreas Moritsch die rhetorische Frage, ob der neue slowenische Nationalismus, den die slowenische Regierung zur staatlichen Konsolidierung mobilisieren muss, bei den Kärntner Slowenen einen völkischen Irredentismus beleben könnte.31 Diese Befürchtung scheint tatsächlich eingetroffen zu sein: Im Artikel 5 der slowenischen Verfassung ist bereits die Zuständigkeit Sloweniens für die Kärntner Slowenen sinngemäß verankert. Demnach müsse sich Slowenien, und nicht Österreich, um die slowenische Minderheit kümmern. Mit mehreren Gesetzen und Verordnungen wird die verfassungsmäßige Zuständigkeit des Mutterstaates Slowenien umgesetzt.

Österreich geht im Gegensatz zu Slowenien davon aus, für die auf seinem Staatsgebiet befindlichen Minderheiten, also auch für die slowenische, zuständig zu sein. Bundespräsident Van der Bellen betonte bei der Sitzung mit Vertretern der Volksgruppenbeiräte am 10.5.2021 ausdrücklich: „Die autochthonen Volksgruppen sind mit ihrer jeweils ganz besonderen Sprache und Kultur ein selbstverständlicher Teil der österreichischen Identität, den wir nach Kräften fördern und erhalten müssen“.32 Von slowenischer Seite wird seit Jahren das Gegenteil praktiziert. Die Kärntner Slowenen seien kräftige Äste auf dem Baum des ganzen slowenischen Volkes, heißt es beim Rat der Kärntner Slowenen (NSKS).33  Seitens des NSKS wird die Ansicht vertreten, dass „wir, gemeinsam mit den Unternehmern und den politischen Akteuren im Mutterland Slowenien, Südkärnten als Teil des gemeinsamen Wirtschaftsraumes sehen und eine gemeinsame Strategie entwickeln müssen“. Der „gemeinsame slowenische Kulturraum“ wird vom NSKS sinngemäß als ein „gemeinsamer kultureller, medialer, wirtschaftlicher und bildungsmäßiger Raum“ definiert.34 Die politischen Vertreter in Slowenien müssten verstehen, dass auch wir (=Kärntner Slowenen) zu ihnen gehören, so Olga Voglauer (Grüne).35  Am 6.7.2021 feierte die slowenische Ministerin Helena Jaklitsch, die für die Kärntner Slowenen laut slowenischer Verfassung zuständig ist, mit den „Landsleuten“ in Kärnten, „die ein unersetzlicher Teil des slowenischen Volkes bleiben“, den 30. Jahrestag der Republik Slowenien. Sie erinnerte daran, dass gerade hier die Wiege des Slowenentums ist und beim Fürstenstein die slowenische Identität reifte.36 Niemand der Anwesenden (Peter Kaiser, Christof Zernatto, Lojze Dolinar, Jože Marketz, Karl Smolle…) korrigierte die slowenische Ministerin dahingehend, dass die slowenischen Landsleute dem österreichischen, und nicht dem slowenischen Volk angehören.  Bereits vor Jahren stellte der damalige slowenische Staatsekretär Boris Jesih fest, dass die Kärntner Slowenen Parallelstrukturen von der Kultur bis zur Politik gebildet hatten, was man als eigenes Ländle in einem kleinen Land bewerten könnte.37 Diese slowenische  Parallelgesellschaft  müsste den österreichischen Bundespräsidenten beunruhigen.

Österreichbewusste deutsch- und slowenischsprachige Kärntnerinnen und Kärntner dürfen erwarten, dass der Bundespräsident klarstellt, dass die Österreicher zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig von ihrer Sprache selbst ein Volk (bzw. eine Nation) darstellen und auch die slowenischsprachige Minderheit in Kärnten dazugehört.38  Die Kärntner Windischen dürften übrigens die ersten gewesen sein, die sich zu einem österreichischen Volk bekannten (Andreas Moritsch).
– Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer sagte: „Inzwischen gibt es nur wenige, die uns Österreicher als Deutsche bezeichnen, auch wenn wir die gleiche Sprache sprechen und viele kulturelle Gemeinsamkeiten haben. Aber (…) ein Österreich-Patriotismus und eben auch der Nationalfeiertag haben sich durchgesetzt und das ist gut so“.39
Es erscheint nicht nur intolernat, sondern auch nicht zukunftsorientiert, die neuen Minderheitensprachen  als ein Teil der österreichischen Identität zu ignorieren. Warum sollten sich die Menschen mit Migrationshintergrund in die österreichische Gesellschaft integrieren, wenn sie von höchster Stelle gar nicht dazugezählt werden und ihre Muttersprachen nicht geschätzt werden?
Sektionschef Gerhard Hesse machte bereits im Jahre 2011 im Rahmen des Europäischen Volksgruppenkongresses in Klagenfurt darauf aufmerksam, dass man in Hinblick auf die neuen Minderheiten die „überkommene Volksgruppendefinition“  überdenken müsste.40 Unser Staatsoberhaupt könnte beim Ausstieg aus der überkommenen Volksgruppendefinition und der Überwindung der Denkweise des 19. Jahrhunderts Schrittmacherdienste leisten. 

– Es ist positiv hervorzuheben, dass nicht nur deutsch-, sondern auch viele slowenischsprachige Kärntner einen Österreich-Patriotismus pflegen. Der nationale Kern der slowenischen „Volksgemeinschaft“ (narodna skupnost) praktiziert allerdings eine enge Verbindung zum slowenischen Staat. Die Verbindung bzw. Loyalität zur Republik Slowenien und die Festigung der (slowenischen) nationalen Identität  sind nämlich Voraussetzungen für Subventionen aus Slowenien.41
Die Pflege eines Österreich-Patriotismus sollte man aber von allen slowenischen Minderheitenangehörigen erwarten dürfen. Eine diesbezügliche Bereitschaft ist in vielen Kreisen der slowenischen Minderheit gegeben. Im Jahre 1991 (!) ist beispielsweise der Zentralverband slowenischer Organisationen mit einem Thesenpapier gegen den Nationalismus und „für die multinationale österreichische Identität im Rahmen eines geeinten Europas“ an die Öffentlichkeit getreten. Die ethnische Polarisierung in Kärnten müsse durch eine interkulturelle Konzeption ersetzt werden. Die Kärntner Slowenen müssten sich als „Teil der Mehrheitsbevölkerung“  fühlen können.42 Marjan Sturm zitierte im Rahmen des 2. Internationalen Volksgruppenkongresses 1991 in Eisenkappel den deutschen Politiker Heiner Geißler (CDU), wonach an Stelle der ethnischen nationalen Identität (…) allgemeine Menschenrechte und der Verfassungspatriotismus treten sollten. Der Verfassungspatriotismus sei in einer Epoche der Annäherung zwischen den Nationen ein Konzept der Zukunft.43 Sturm lehnte vor Jahren  die Volkszugehörigkeit ab und sprach von „deutsch- und slowenischsprachigen Kärntnern“. Dagegen gab es allerdings eine scharfe Protestnote des Rates der Kärntner Slowenen (NSKS).44

Eine Umfrage des IFES-Institutes ergab im Jahre 1991 ein frappierendes Ergebnis: 37 Prozent der befragten Slowenischsprechenden in Kärnten  haben sich als Slowenen bekannt, während alle anderen meinten, dass sie sich vor allem für Österreicher oder Kärntner hielten.45 Viele deklarieren sich auch als Kärntner Windische.46 Die Frage nach der Volkszugehörigkeit pflegen auch viele „slowenische“ Politiker ausweichend zu beantworten. Ich bin eine „zweisprachige Ludmannsdorferin“, gab die ehemalige (slowenischbewusste) Bürgermeisterin Štefka Quantschnig (SPÖ) zur Antwort. „Ich bin zweisprachig aufgewachsen und besuchte sieben Jahre das Slowenische Gymnasium“, war die Antwort des Ludmannsdorfer Bürgermeisters Manfred Maierhofer auf die Frage nach seiner Volkszugehörigkeit.47

Dieser Themenkomplex steht mit der Existenz eines österreichischen Volkes in einem unmittelbaren Zusammenhang und müsste vom Staatsoberhaupt prioritär behandelt werden. Der österreichische Bundespräsident sollte zur Frage der Existenz des österreichischen Volkes und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen bei der Beurteilung der Situation der slowenischen Minderheit in Kärnten nicht länger schweigen.
– Österreich scheint sich nämlich mit der Staatszielbestimmung im Jahre 2000 von der Akzeptanz eines einheitlichen österreichischen Volkes schleichend verabschiedet zu haben. Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn erblickt darin bereits die Gefahr, dass „die jetzige politische Ordnung in Europa durch ein von rechtsextremer Seite forciertes völkisch-hierarchisches Modell ersetzt werden könnte“. Salzborn verweist ausdrücklich auf die Entwicklung in Österreich, wo der „Volksgruppenschutz“ als Staatszielbestimmung in die Verfassung aufgenommen worden sei.48  Kärnten ging in diesem Sinne im Jahre 2017 einen Schritt weiter und „bekennt“ (!) sich speziell  zur slowenischen Volksgruppe (auf Slowenisch: Volksgemeinschaft „narodna skupnost“). Ein Bekenntnis der Volksgruppe zu Österreich war kein Thema. Sobald Minderheiten – wie in Kärnten –  nach ethnischen Kriterien zu einer Gruppe zusammengefasst werden, erhebt sich natürlich die Frage nach der Ethnizität der („deutschen“) Mehrheitsbevölkerung: „Spiegelbildlich zur ethnischen Identität der nationalen Minderheiten wird sich auch die Mehrheit nach bestimmten kulturellen, sprachlichen oder religiösen Kriterien orientieren“, wird von der Politikwissenschaftlerin  Sabine Riedel gewarnt.49 Damit wird also auch der Deutschnationalismus reaktiviert. Von einem Bekenntnis zu einem österreichischen Volk (Nation) ist nicht mehr die Rede. In Kärnten lebten danach nach allgemeiner Auffassung zwei Völker, zwei Volksgruppen (Volksgemeinschaften), bzw. im Klartext „Deutsche“ und „Slowenen“. Für das österreichische Volk gibt es keinen Platz. Das österreichische Volk wäre somit nicht einmal eine „Missgeburt“, sondern eine „Totgeburt“. Der Bundespräsident dürfte damit nicht einverstanden sein!
 – Alljährlich wird am 23. August der europäische Gedenktag an die Opfer aller totalitären Regime, also auch der Kommunisten, begangen. Kommunisten lehnen den pazifistischen Gedenktag ab. Auch in Kärnten wird diese europäische Idee ignoriert. Der KPÖ-Wahlsieg bei den Gemeinderatswahlen in Graz ist aber ein Beweis für die Existenz eines totalitären Kommunismus in Österreich. Der Diktator Tito wird nämlich ausdrücklich als Vorbild der Grazer KPÖ gepriesen.50  Die Spitzenkandidatin wurde ebenfalls in Moskau ausgebildet.51  In Slowenien wird bereits ein totalitärer Einfluss der Grazer Kommunisten auf ihren Staat befürchtet.52
Obwohl man diesbezüglich verschiedener Ansicht sein kann, erschiene eine Positioniering des Bundespräsidenten zur Frage der Überwindung des totalitären Gedankengutes in Österreich ein Beitrag zur Friedenssicherung. Der slowenische Staatspräsident Borut Pahor spielt diesbezüglich eine  Vorreiterrolle. Er besucht nicht nur Gedenkveranstaltungen für die NS-Opfer, sondern auch für die Opfer der kommunistischen Tito-Partisanen und ist um einen Dialog zwischen diesen beiden gegnerischen Positionen, bisher allerdings ohne durchschlagenden Erfolg, bemüht.53  Eine vergleichbare Initiative des österreichischen Staatsoberhauptes fehlt. Am 12.9.2021 bedachte  Bundespräsident Van der Bellen einen Marsch zu Ehren der Partisanen (Carinthija 2020 – Projekt) mit Grußworten ohne dabei auch die Opfer der Partisanen in Erinnerung zu rufen.54

4. Aus staatspolitischer Sicht ist für das Staatsoberhaupt eine slowenische Grenzlandminderheit, für die der Nachbarstaat Slowenien seine Zuständigkeit reklamiert, eine ständige Herausforderung.
Aus der Sicht des Bundeslandes Kärnten ist zu erwarten, dass der Bundespräsident bei seinen Aufenthalten in Kärnten die slowenische Minderheit nicht nur als Teil des österreichischen Volkes reklamiert, sondern der von Slowenien praktizierten Besitzergreifung eine klare Absage erteilt.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen benötigte daher ein Kompetenzzentrum gegen den völkischen Nationalismus und weniger ein „Kompetenzzentrum gegen den politischen Islam“.55

 

 

 

 

1 KZ, 9.7.2021, S. 26, 27.

2 KZ, 22.5.2016, S. 6; Novice, 16.7.2021, S. 2.
Mit der Zweisprachigkeit von Anfang an konfrontiert – die Eltern stammen aus Russland – bedauere Alexander Van der Bellen immer noch, die russische Sprache nicht erlernt zu haben, Quelle: https://www.ktn.gc.at/Service(news?nid=33067, 9.7.2021.

3 Novice, 16.7.2021, S. 3.

4 Novice, 11.11.2011, S. 6.

5 Die Presse, 19.5.2012, S. 4.

6 Novice, 24.2.2012, S. 2; Kronen Zeitung, 18.8.2021, S. 6.

7 Samuel Salzborn (Hrsg), Minderheitenkonflikte in Europa, 2006, S. 105, 120.

8 KZ, 9.7.2021, S. 26.

9 https://volksgruppen.orf.at/slovenci/meldungen/stories/3112928/, 16.7.2021.

10 Vgl. dazu: KZ, 20.7.2021, S. 12.

11 KZ, 12.10.2021, S. 13.

12 KZ, 7.7.2021, S. 26 (Ewald Klammer, Franz Jordan).

13 Woche Kärnten, 15.2.2012, S. 20.

14 https://volksgruppen.orf.at/slovenci/stories/3125834/, 15.10.2021.

15 KZ, 6.7.2021, S. 18.

16 Preko karavank, Ljubljana 2002, S. 349.

17 KZ, 21.3.2009, S. 46; 20.3.2009, S. 44. Leserbriefe: Johannes Gradenegger, Jens Gramer.

18 Vgl. dazu: „Die Zweisprachigkeit soll zur Selbstverständlichkeit werden, sie bedeutet aber auch ein politisches Statement“, so Emil Krištof (UNIUM). Quelle: KZ, 2.7.2021, S. 18.

19 Novice, 30.7.2010, S. 10.

20 https://www.integrationsfonds.at/mediathek-publikatione…, Abruf: 27.8.2021.

21 Skupnost, Februar 2009, S. 5, 7 (Prof. Esad Memic, Rudolf Altersberger).

22 Antonia Gössinger, KZ, 3.7.2021, S. 20.

23 Novice, 18.11.2011, S. 5; http://radio.ognjisce.si/sl/124/slovenija/6045/, 23.11.2011.
Anmerkung: Vom General-Maister-Verband wurde alllerdings kein weiterer Kärntner Slowene ausgezeichnet.

24 Novice, 10.2.2012, S. 2.

25 KZ, 10.2.2012, S. 41.

26 Andrea Bergmann „Scharfe Attaken auf die Konsensgruppe“; Anas Blatnik, „Gehässigkeiten“. Quelle: KZ, 24.10.2009, S. 18; 3.11.2009, S. 37.

27 Jože Wakounig, Obmann des Volksgruppentages im Rat der Kärnter Slowenen. Quelel: KZ, 7.11.2009, S. 51.

28 Stellungnahme des Rates der Kärntner Slowenen zum 5. Staatenbericht zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, S. 36, 37. Quelle: https://volksgruppen.orf.at/slovenci/meldungen/stories/3115558/, 4.8.2021.

29 KZ, 23.10.2012, S. 6. Die Presse, 8.3.2014, S. 2; 3.5.2014, S. 2; 20.10.2012, S. 1; 25.10.2014, S. II (Spectrum).

30 Bereits in den 1990er Jahren gab es beispielsweise im Rahmen von europäischen Minderheitentreffen Kooperationen zwischen sepraratistischen Minderheitenvertretern. Die IRA (Nordirland) und die ETA (Baskenland) sollen in Übersee sogar gemeinsame Ausbildungslager betrieben haben. Quelle: Večer, 14.3.2009, S. 7 (Autor: Bojan Brezigar, Triest).

31 Austria Slovenica, Klagenfurt 1996, S. 23, 57.

32 www.skupnost.at/de/details-1325/oesterre…, 10.5.2021.

33 Ansprache des Obmannes des NSKS, Jože Wakounig,  vom 24.3.2012. Quelle: http://nsks/?p=2090, Abruf: 29.3.2021.

34 Matevž Grilc, Obmann der NSKS; Novice, 10.1.2009, S. 2.

35 Olga Voglauer: „Für die Existenz unseres Volkes wird es notwendig sein, dass Slowenien (unser Mutterland: „naša matična Slovenija“) hinter uns steht. Bedeutend ist, dass die politischen Vertreter aus Slowenien verstehen, dass auch wir zu ihnen gehören. .(…) Landsleute aus Slowenien, kommt nach Celovec und nicht nach Klagenfurt, kommt nach Beljak und nicht nach Villach. Quelle: http://nsks.at/?p=577, Abruf: 18.9.2009.

36 Novice, 9.7.2021, S. 5; https://www.gov.si/novice/2021-07-01-ministrica-dr-helena-jaklits…, Abruf: 12.7.2021.

37 Novice, 2.7.2009, S. 2.

38 Bereits in den 1920er Jahren begann Hans Karl Zeßner-Spitzenberg sein Gedankengebäude einer eigenen österreichischen Nation zu entwickeln. Er war einer der ersten Opfer der Okkupation Österreichs durch den Nationalsozialismus und starb am 1.8.1938. Sein Bekenntnis zu Österreich brachte ihn ins KZ und ins Grab. (Quelle: Paneuropa Österreich, Nr. 4/2013S. 14 ff.)

39 KZ, 26.10.2017, S. 6.ff.

40 Kärnten Dokumentation, Band 28/29, S. 37 ff.

41 Novice, 30.10.2009, S. 3.

42 Kärntner Tageszeitung, 8.2.1991, S. 14.

43 Zitiert aus dem Manuskript seiner Ansprache vom 24.10.1991; KZ, 24.10.1991, S. 8.

44 Novice, 19.6.2009, S. 4.

45 KZ, 3.2.1991, S. 8; Kommentar: Heinz Stritzl.

46 Siehe dazu: Josef Lausegger, Zur Geschichte der Kärntner Windischen, in: Carinthia 2019, S. 697 ff.

47 Novice, 13.3.2009, S. 6.

48 Samuel Salzborn, Ethnisierung der Politik, 2005, S. 16.

49 Sabine Riedel, in: Minderheitenkonflikte in Europa, 2006, S. 257.

50 Kleine Zeitung, Graz, 9.10.2021

51 https://www.news.at/a/elke-kahr-graz-12244380, 25.9.2021.

52 https://www.rtvslo.si/kolumne/marko-radmilovic/zapisi-iz-mocvirja-komunisti-prihajajo/, 28.9.2021. Kommentator: Marko Radmilovič.

53 Domovina, Ljubljana, 10.6.2021, S. 38.

54 Novice, 17.9.2021, S. 7; 10.9.2021, S. 7.

55 Susanne Raab (ÖVP): „Ich möchte Österreich als Kompetenzzentrum gegen den politischen Islam entwickeln“. Quelle: Kronen Zeitung, 11.9.2021, S. 3.