12.-14. April 2022: 80-Jahrjubiläum der Aussiedlung von Kärntner Slowenen

Partisanenopfer: Kinder am Grab ihrer Mutter
Partisanenopfer: Kinder am Grab ihrer Mutter

Anlass für ein grenzüberschreitendes Opfergedenken?
„Mit den Weinenden weinen“

Info Nr. 54

14.-15.4.1942 Aussiedlung von Kärntner Slowenen

1. Nationalsozialistische Täter…
Die Nazisten vertrieben über 1.000 bewusste Kärntner Slowenen aus ihren Heimen. Sie wurden zunächst zu Sammellagern nach Ebental gebracht, danach aber transportierte man sie in verschiedene Lager des Reiches. (…) Nach Kriegsende wurde im Rahmen des Prozesses gegen Friedrich Rainer festgestellt, dass bei der ersten Welle von den vorgesehenen 1220 Slowenen 917 in ein Lager gebracht worden sind. In der Deportation wurden 34 Kinder geboren, 84 Personen wurden in Konzentrationslager gebracht. In die deutsche Wehrmacht wurden 108 Vertriebene mobilisiert. 101 Vertriebene wurden Opfer der deutschen Gewalt, so die slowenische Geschichtsschreibung.1

Dies war die schärfste Form nationalsozialistischer Rassen- und Volkstumspolitik in Kärnten und hatte die „Eindeutschung“ des gemischtsprachigen Gebietes zum Ziel, ähnlich wie dies ein Jahr zuvor in Oberkrain und in der Untersteiermark durchgeführt wurde. Die Ausgesiedelten kehrten zum Großteil bald nach Kriegsende nach Kärnten zurück, wo man sie sehr kühl empfing. Ihre Besitzungen waren oft in schlechtem Zustand und nicht selten weigerten sich die ausgesiedelten Kanaltaler die Höfe wieder zu verlassen. Erst im August 1945 wurde mit der Rückgabe begonnen, der erlittene Sachschaden wurde in den Folgejahren erhoben und weitgehend bis 2001 ersetzt.2

Boris Jesih, slowenischer Historiker, stellte fest, dass der nazistische Plan, die Slowenen aus Kärnten zu entfernen, nicht deren Vernichtung in Konzentrationslagern, sondern die Umsiedlung als Kolonisten und als Arbeitskräfte im Osten vorgesehen habe.3

Neben den ausgesiedelten Slowenen gibt es viele weitere Gruppen von NS-Opfern.
In diesem Zusammenhang müsste auch der Partisanenopfer gedacht werden. Im Vergleich zur Aussiedlung ist das Schicksal der Partisanenopfer der Kärntner Öffentlichkeit kaum bekannt. Exemplarisch wird auf Basis von Zeitzeugen das leidvolle Schicksal einzelner Partisanenopfer geschildert.

2. Tito-kommunistische Täter…
2.1. In der Zeit der Aussiedlung von Kärntner Slowenen war in Slowenien auch die Verfolgung von anti-titoistischen Slowenen in vollem Gange. Die Verfolgung durch die Tito-Partisanen wurde auf Kärnten ausgeweitet. Konkrete Kärntner Beispiele bleiben hier aber bewusst unerwähnt.

Die slowenischen Kommunisten stellten bereits im August 1941 fest, dass all jene, die gegen die Kommunisten auftreten, im Vorhinein als Verräter und Kollaborateure behandelt werden (Jaklitsch).  
Ein Namensverzeichnis der Historikerin Helena Jaklitsch ergibt, dass es in Slowenien bereits bis Juli 1942 689 Opfer der „revolutionären Gewalt“ gab; davon 516 Männer und 173 Frauen. Jünger als 18 Jahre waren 45 Opfer. Das jüngste Opfer, Vada Čuk, sei nicht einmal 2 Jahre alt gewesen, als es gemeinsam mit Mutter und Vater am 17.4.1942 sterben musste. Der jüngste Bub, Štefan Jakopin, sei bei seiner Ermordung 5 Jahre alt gewesen. Mit ihm starben auch die Eltern, sein 17- jähriger Bruder Jože, das 16- jährige Schwesterchen Ana und der 10- jährige Bruder Venceslav. Das Namensverzeichnis sei nicht vollständig, da die Partisanen zwischen Mai und Juli 1942 beispielsweise auch rund 160 Roma umgebracht hätten.
Im Verzeichnis scheinen auch 12 Priester auf.
Darunter der slowenischnationale Kärntner Theologe Dr. Lambert Ehrlich.4

2.2. Zeitzeugen…
„Die Opfer haben vergeben, sie wünschen aber, dass der Gerechtigkeit und Wahrheit entsprochen wird“, berichtet die slowenische Journalistin Vanja Kržan. Sie publizierte Interviews mit Zeitzeugen betreffend die „revolutionäre bolschewistische Gewalt im und nach dem Krieg“.

Kržan: Bei den Erzählungen meiner Zeitzeugen fällt es mir nicht schwer, mit den Weinenden zu weinen. Mitleid ist eine natürliche, menschliche Regung. Die Berichte der Zeitzeugen sind aber mehr als weinerlich, oft sogar furchterregend. Der Bolschewismus kannte kein Mitleid, im Gegenteil, er erzeugte Terror, Angst und Zittern, damit er leichter an die Macht gekommen war. Er unterdrückte die Bevölkerung, nützte sie aus und vernichtete ihre geistigen, seelischen und menschlichen Tugenden. Der Bolschewismus praktiziert es noch heute.
Sehr oft sagte mir der eine oder andere Zeitzeuge: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr wir gelitten haben“. Danach folgt ihre Versicherung: „Sie können sich nicht vorstellen, wie viel wir gebetet haben. Jeden Abend einen Rosenkranz, auch für unsere Feinde. In der Kirche sangen wir jeden Sonntag das bekannte Marienlied…“.5  Zu meinen Zeitzeugen gehören auch einige Verwandte der Domobranzen, der Angehörigen des slowenischen Volksheeres. Es schmerzt sie die Ermordung der Domobranzen nach Kriegsende und das neuerliche Verbrechen, indem die Domobranzen als Verräter beschimpft werden, obwohl sie Patrioten waren, die nicht mit dem Okkupator kollaborierten, sondern zu Beginn als Dorfwachen ihre Höfe, ihre Familien, ihren Besitz, ihren Glauben und die Volkskultur  vor dem Kommunismus und den kommunistischen Partisanen schützten. (…) Für meine Zeitzeugen sind tausende Ermordete – vor allem die Priester, Seminaristen, geschändete und gefolterte Mädchen, sogar schwangere Mütter, unschuldige Kinder und jugendliche Burschen –  Märtyrer des Glaubens und Heilige des Volkes. Ihnen zu Ehren beten sie und wenden sich hilfesuchend mit ihren Sorgen an sie. Dazu zählen die Zeitzeugen auch die heiligen Bischöfe, die dem Glauben und dem Volk treu ergeben waren, auch die Bischöfe Anton Vouk und Gregor Rožman, ohne die ermordeten und gequälten Priester und Seminaristen aufzählen zu wollen. Eine wahre Menge von Märtyrern! (…)
Warum verdienen nicht einmal jene Gräber bzw. Mordstätten, die bereits bekannt sind, eine Beerdigung? Damit verübt der Staat über die Ermordeten einen neuerliches Verbrechen. (…)
Die Zeitzeugen bestätigen mir immer wieder, dass sie bereits nach einer natürlichen Logik nicht hassen können, weil der Hass ihre natürlichen Gefühle und Gedanken vernichten würde: „Zuviel Hass haben wir gespürt, um nun selbst zu hassen. Damit würden wir uns den Frieden im Herzen, aber auch unseren Kindern und Enkelkindern, nehmen“. (…) Sie beten, dass die ganze Wahrheit der Opfer und der Missetäter an den Tag kommt, damit die Slowenen einander versöhnt die Hand reichen könnten. Für eine wahre Versöhnung ist nicht nur unsere Verzeihung eine Voraussetzung, sondern auch die Anerkennung der Schuld, das Bedauern, die Offenlegung der gesamten Wahrheit und die Rückgabe des guten Namens an die Opfer. (…) Sie wären schon glücklich, wenn sie wüssten, wo ihre toten Angehörigen liegen. (…) Zu den Zeitzeugen gehören viele Nachkriegskinder, die alle erzählen, wie sie von den Witwen-Müttern mit ihrer Einstellung und den Worten versöhnlich erzogen worden sind, damit sie die Mörder ihrer Väter und Brüder nicht hassten. Wenn sie die Mörder kannten, nannten sie den Kindern gegenüber niemals deren Namen. (…) Den Zeitzeugen ist noch etwas aufgefallen. Die Menschen, die gemordet oder diesbezügliche Aufträge erteilt hatten, begann mit der Zeit das Gewissen zu plagen. Viele litten das ganze Leben psychisch oder erkrankten an einer Geisteskrankheit. Sie wurden zu Trinkern, waren krankhaft um ihre Gesundheit bemüht oder aber sie verübten sogar Selbstmord. (…) Ich erwähnte bereits das siebenjährige Mädchen, vor deren Augen ihr gefesselter Vater weggebracht wurde und für ewig verschwand. Als erwachsenes Mädchen saß sie an einem Sonntagabend mit einer Freundin und deren Mann in einem Kaffeehaus des Heimatortes. Es nähert sich ein betrunkener Mann, der Bürgermeister des Ortes, und beginnt sie zu belästigen. Der Mann der Freundin bittet ihn höflich, sie in Ruhe zu lassen. Danach wird der betrunkene Mann laut, schaut starr und schreit: „Du willst mich vertreiben? Weißt du denn nicht, wer ich bin? … Ich habe ihren Vater erschossen“, und er zeigt auf das erwähnte Mädchen. Ich werde nicht beschreiben, wie sehr das Ereignis das Mädchen erschütterte. Der Unbekannte, der die Kindheit und die ganze Jugend zerstört hat, steht nun vor dem Mädchen, ein Mann aus Fleisch und Knochen! (…)  Nach einiger Zeit erfuhr das Mädchen, dass der Bürgermeister mit dem PKW von der Straße abgekommen ist und über eine Schlucht in den Abgrund stürzte. In Wahrheit konnte das Mädchen nichts anderes als Mitleid verspüren.
Meine Zeitzeugen berichteten mir von einer langen Liste von Helden-Müttern. Die Liste ist so lang, dass es mir schwer fällt, daraus Beispiele zu bringen. Ist denn jene Mutter nicht eine Heldin, die von ihrer Tochter wie folgt beschrieben worden ist, die selbst bereits als Witwe nach einem ermordeten Domobranec mit einer einjährigen Tochter lebte: „Mit der Mutter blieben wir allein. Wir mussten beengt in einem kleinen Zimmer unseres Hauses leben, da unser Haus von Partisaninnen okkupiert worden ist. Gemeinsam mit dem Vater flohen die Brüder nach Kärnten. Der kranke Vater war den Anstrengungen der Flucht über den Loibl nicht gewachsen und starb in Spittal a.d. Drau. Die Brüder kehrten nicht zurück. Wie konnten wir mit der Mutter und meinem Kind überleben? Eine Beschäftigung gab es für mich trotz abgeschlossener Berufsausbildung nicht. Für die Mutter als Witwe eines „Verräters“ und Mutter „weißgardistischer“ Söhne gab es keine Pension mehr. Die Pension hat der Vater vor dem Krieg verdient. Für das Kind gab es keine Milch. Es schien mir, dass die Mutter in sich einkehrte. Dann wird sie eines Tages von zwei Unbekannten abgeholt, sie müsse mitgehen. Warum? Ein Befehl im Namen des Volkes! Sie bringen sie wie eine Mörderin weg. Das ganze Leben werde ich den Eindruck nicht vergessen, wie meine Mutter zart und geschwächt zwischen den Beiden die Gasse entlang geht. Wird sie überhaupt noch einmal zurückkehren?“
Es fällt mir schwer, mir die Mutter vorzustellen, welche gemeinsam mit dem Mann und drei kleinen Kindern unter größten Mühen schließlich im Lager Teharje (Tüchern) eingetroffen ist. Sie wurde von den Kindern und ihrem Mann getrennt, aber einmal konnte sie zum Gitter schleichen, sie suchte mit den Augen nach den Kindern und es gelang ihr, dass sie eines davon durch das Gitter mit einem Finger die Hand streicheln konnte. Das war ihr letzter Abschied. Eines Tages wurde sie gemeinsam mit den übrigen Müttern und Mädchen mit diesem grünen, unheilbringenden Autobus weggebracht. .. den Vater aber Gott weiß wann.
Ich denke oft an eine Mutter, die gemeinsam mit ihrem Mann im Oktober 1945 in Triest entführt und in ein Laibacher Gefängnis gebracht worden ist. In der Fremde blieben ihre 4 unversorgten, unmündigen Kinder. Nach längerer Zeit erfuhren die Einheimischen von einer ungenannten Mitbewohnerin in der Nebenzelle, dass die Mutter den Verstand verloren hatte und aus ihren letzten Schreien war zu schließen, dass sie im Februar 1946 erwürgt worden ist. Vom Vater hörte man aber nach der Entführung nichts mehr.
Können wir uns die Mütter vorstellen, die von den Partisanen in einer kalten verschneiten Winternacht 1945 aus den brennenden Häusern in Hinje getrieben worden sind? Den Hügel hinauf im tiefen Schnee! Im Dorf gab es fast nur noch Mütter, Kinder und Senioren. Mit einem Bündel über der Schulter, mit einem Kind im Arm, die freien Hände wurden von den größeren Kindern festgehalten! Schreie und Weinen, als sie in das Dorf zurückblickten wie ihre ärmlichen, mit Stroh gedeckten Häuser, die Schule, das Kulturhaus, die mächtige Kirche zu einem Raub der Flammen werden. Wohin nun? Allein, in der kalten Nacht, hungrig, nur halb gekleidet und beschuht, mit einem Schüppel Kindern an der Seite! Alles, was sie besaßen, wurde ihnen genommen und mit ihrem Vieh in die Gottschee gebracht.
Zwei Monate danach wurde von den Partisanen noch Žvirče niedergebrannt und die Bewohner aus ihren Heimen vertrieben. Nach dem Krieg kehrten Reste der ehemaligen Familien, meistens Mütter mit kleinen und größeren Kindern in die niedergebrannten Häuser zurück und deckten die Häuser mit Brettern. (…) Eine Mutter, Witwe mit 7 Kindern, grub Kartoffeln an einem Ende des Ackers, die Tochter am anderen Ende. Die Söhne kehrten (noch) nicht aus Kärnten zurück. Man flüsterte einander zu, dass sie zurückkehren und in den Gottscheer Wäldern ermordet werden. Auf einmal hören sie aus der Ferne ein dumpfes Dröhnen und danach sehen sie dort einen Rauch aufsteigen. (…) „Unsere Buben“, stöhnt die Mutter: „Dort werden sie erschlagen, in den Gottscheer Wäldern! Auch unser Tone und unser France!“ Die Tochter erfuhr später, dass sie damals mit Sprengungen eine Grube mit ermordeten und halb-ermordeten blutenden Körpern zugeschüttet hatten. Auch ihre beiden Brüder sollten dabei gewesen sein. Den Vater, einen Kaufmann, haben sie schon in der Kriegszeit weggebracht und irgendwo im nahen Wald erschossen. Den Müttern und den unterernährten Kindern blieb nur das Schuften, um zu überleben, verpflichtende Abgaben, hohe Steuern, himmelschreiendes Unrecht, Erniedrigung, Verächtlichmachung, Unterdrückung – und die Angst vor Verhören und Gefängnissen.
Mehr als Heldinnen waren alle diese slowenischen Heiligen- und Märtyrermütter! Auch die Lehrerin aus Sodražica, die mit einem siebenmonatigen Kind unter dem Herzen selbst ihr Grab graben musste, bevor man sie ermordete. (…) In Poljanska dolina wurde eine Mutter aus dem Stall getrieben und vor den Augen ihrer sechs kleinen Kinder erschossen. Nur Gott selbst weiß, was sich damals in ihrem Mutterherz abgespielt hat! Was in den Herzen der Kinder, wir können es uns nicht vorstellen. Die ganze grauenvolle Nacht verbrachten sie zusammengedrückt im Bett der Mutter und des Vaters.
Viele Häuser sind ausgestorben und es blieben nur Brandruinen. Auch jenes Haus, in dem eine Mutter nach dem Tod des Mannes mit drei erwachsenen Söhnen und einer Tochter, die in einem anderen Ort arbeitete, lebten. Ein Sohn versteckte sich vor den Partisanen, die übrigen zwei wurden von den Partisanen eines Abends erschossen. Sie wurden danach in das Haus geworfen, die Mutter wurde an die Nähmaschine gebunden und das Haus wurde angezündet. Irgendwo haben sie auch den dritten Sohn erwischt, er kehrte nie mehr nach Hause zurück.
Es blieb nur die Tochter, sie heiratete in einen anderen Ort. Auch sie ist ein Opfer. Einen Altar hat sie nicht nur in ihrem Herzen. Sie errichtete auch im Wohnzimmer einen Altar: auf einem Schränkchen hat sie die Fotos ihrer Lieben: des Vaters, der Mutter und der Brüder. Und auch noch ein Herz-Jesu-Bild und ein Marienbild. Daneben eine Blumenvase und eine Kerze, die angezündet wird, wenn sie betet. Das Gebet beruhigt sie und gibt ihr wieder Lebenskraft. In Gedanken hat sie auch das slowenische Volk und unsere Zukunft.
Marjan war erst 8 Jahre alt  als er in wenigen Augenblicken völlig allein im großen Haus und auf dem Besitz seiner Eltern zurückblieb. (…) Wenn Marjan und seine Schwester im Mai 1945 auf dem Feld arbeiteten, konnten sie täglich lange Lastenzüge sehen, die aus dem Karawankentunnel kamen und unter ihrer Wiese und dem Acker stehen blieben. Zu den Waggons stürmten bewaffnete Partisanen, öffneten diese und zerrten die Häftlinge heraus. Diese wurden dann in den leeren Wohnblock „Na plazu“ gebracht. Was dort passierte, gaben die Menschen nur flüsternd weiter. Man hörte Schreie, unmenschliches Brüllen, auf dem Hügel vor dem Tunnel in den Nächten Schüsse, im Wohnblock angebundene Gefangene, die vor Durst in Ohnmacht fielen. (…) Ende März, am Tag der Heiligen Anna, läutete es am Vormittag. Die Schwester öffnet die Tür, in der Küche hörten sie einen Schuss. „Jesus, Maria“, es folgt ihr die Mutter. Ein zweites Mal fiel ein Schuss. Der Vater versteckt sich schnell unter dem Tisch. Der Mörder springt über die beiden Leichen, stürmt in die Küche und erschießt noch den Vater. Marjan sah alles und hörte alles. Er versteckte sich hinter einer Steinmauer im Vorhaus. Konnte er überhaupt verstehen, dass er in wenigen Augenblicken völlig allein geblieben ist? Allein für das ganze Leben! Warum? Bis heute konnte er darauf keine Antwort finden. (…) Als wir nach Ende des Zeitzeugenberichtes gerade vor dieser unglückseligen Haustür, die seine Schwester dem Mörder seiner Familie geöffnet hatte, Abschied nahmen, sagte mir Marjan noch immer mit schmerzerfüllter Stimme: „Bevor ich sterbe, möchte ich nur noch erfahren, warum sie erschossen worden sind. Warum haben sie mir soviel Unrecht angetan?“ (…)
Die unendliche Barmherzigkeit Gottes möge die Herzen der Peiniger und heutiger Nachfolger des revolutionären Rechts erfassen. Sie reden von Befriedung, für eine Versöhnung treten sie aber nicht ein. Vielleicht ist aber die Befriedung ein kleiner Schritt in Richtung Versöhnung?!
Mit wem sollen sich Marjan und meine Zeitzeugen versöhnen? Den Mörder der unschuldigen Mutter, der Schwester und des Vaters kennt er nicht. Auch den Grund für das brutale Verbrechen kennt er nicht! Wem soll er vergeben? Mit wem soll er sich versöhnen? Er feindet niemanden an, er hat sich an niemandem gerächt. (…) Er und wir alle gemeinsam mit ihm wollen  nur die Wahrheit… (…)
Der Weg zu einer Versöhnung kann aber nur erfolgreich sein, wenn beide Gesprächspartner ehrlich, anständig und wahrheitsliebend sind und sich für die gemeinsame Sache, das heißt für eine wahre und nicht nur eine scheinbare nationale Versöhnung einsetzen.
Beim heurigen Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau sagte der Vorsitzende des Rates der Juden Josef Schuster der deutschen Jugend: „Ihr seid nicht schuld, ihr seid aber verantwortlich“. Dieser Aufruf kann für einen demokratischen Staat gelten, der nach dem Krieg den Nazismus verurteilt und die Lustration durchgeführt hat. Wie steht es aber mit unserer Jugend, die ebenfalls für die Verbrechen nicht schuldig ist, sie ist aber verantwortlich dafür, dass das historische Gedenken erhalten bleibt? Wie soll sie verantwortlich sein, wen sie unsere revolutionäre Vergangenheit nicht kennt und diese Vergangenheit noch immer gepriesen wird? Wie soll sie für unsere Gegenwart verantwortlich sein, wenn sie nicht erkennen kann, dass unsere Gegenwart von Schülern, Förderern, Beschützern und ideellen Nachfolgern der Revolution geleitet wird?!
Wir werden nicht nachlassen, uns versöhnend für die Akzeptanz von Wahrheit und Gerechtigkeit einzusetzen. Es leitet uns die tröstende Erkenntnis, dass unsere Heiligen und Märtyrer für unser slowenisches Volk die höchste Anerkennung, das höchste moralische Kapital und ihr Blut die höchste Versicherung unserer Zukunft bedeuten, so die Journalistin Vanja Kržan.          

3. Traumatisierte Partisanen- und NS- Opfer…
Man darf keinesfalls außer Acht lassen, dass es vom Blickwinkel der Opfer aus unwesentlich ist, welches Regime sie aus welchem Grund auch immer ihrer Freiheit beraubte und sie foltern und ermorden ließ.6 Traumata belasten NS-Opfer und Partisanenopfer gleichermaßen.
Der 80. Jahrestag der Aussiedlung der Kärntner Slowenen sollte zum Anlass genommen werden, ein allgemeines pazifistisches Opfergedenken, unabhängig von der Täterseite, zu begehen. Beispielsweise erinnert Primarius Herwig Oberlerchner daran, dass in Südkärnten der Nationalsozialismus unglaublich viele Familien belastet habe. Man müsste noch viel für Versöhnung und eine Annäherung der Positionen tun. Nachkommen haben das Gefühl, dass etwas nicht aufgearbeitet und unverständlich sei. Wichtig sei, dass das Schweigen beendet wird, so Primarius Oberlerchner.7 Dies müsste auch für die Partisanenopfer gelten (s.o.).
Seit dem Jahre 2005 wird vom Verein „Apsis“ (verantwortlich: Klaus Ottomayer, Daniel Wutti) eine Gesprächstherapie für traumatisierte Menschen angeboten, die Opfer von Nazi-Verbrechen geworden sind. Viele Kinder und Enkelkinder der Opfer des Nationalsozialismus würden in mancher Hinsicht noch so leben, als hätten sie selbst das Leiden unmittelbar erlebt, wird von Apsis informiert. Auch Partisanen und deren Nachkommen werden als Opfer behandelt.8
Es werden somit traumatisierte Partisanen und deren Nachkommen, die als Täter agitiert hatten gegen ihre Traumata behandelt, die Opfer dieser Partisanen (s.o.) werden aber offensichtlich zur Behandlung nicht eingeladen.
In Slowenien seien 4.000 ehemalige Partisanen, die an Exekutionen teilgenommen haben, wegen psychiatrischer Beschwerden in Behandlung, berichtete die Historikerin Spomenka Hribar. Auch 15- jährige Partisanen wurden nämlich gezwungen, an den Ermordungen teilzunehmen. „Wir tranken Cognac, während wir töteten“, bekannte der ehemalige Geheimdienstchef von Marburg Zdenko Zavadlav.9 Früher oder später wurden diese Partisanentäter von Gewissensbissen gequält.
Dušan Pirjevec-Ahac, der gemeinsam mit Karel Prušnik-Gašper für die Verschleppungen in Kärnten verantwortlich sei, habe wegen seiner Verbrechen gelitten und bat eine Krankenschwester um einen Priester. Es wurde ihm ein Psychiater zugeteilt, den Pirjevec allerdings abgelehnt haben soll, berichtet ein slowenischer Historiker.10
Die Traumata belasten also nicht nur die Opfer, sondern sogar die Täter!

 Marjan Sturm weist darauf hin, dass kollektive Traumata zu einer fundamentalen Ressource – entweder für die Legitimation erneuter Gewalt oder aber für Konflikttransformation und Versöhnung – gehören: „Es gibt die Version, dass ein bewusster strategischer Rückgriff auf kollektive Traumata zur Durchsetzung der Interessen der eigenen sozialen Gruppe angewendet wird. In Kärnten handelt es sich hierbei um das Modell der Ethnisierung der Politik…“.11 Es werden also bewusst kollektive Traumata an die nächste Generation weitergegeben bzw. die nächste Generation damit belastet.12
Der Psychologe Peter Stiegnitz präzisierte den „bewussten strategischen Rückgriff“ unterschiedlicher Gruppen, die „ihre aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen ermordeten Toten über Gebühr verehren und sie der Vergessenheit, nicht immer aus selbstlosen Gründen, mit Gewalt entreißen wollen“. Er nennt diesen strategischen Rückgriff „Märtyrer-Wärtertum“ und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die nationalen Minderheiten:  „Erst die einseitige Übertreibung der Minderheiten-Mandatare, ihre Nicht-Akzeptanz gesamtgesellschaftlicher Interessen, ihr ständiges Drohen mit der Vergangenheit, die man nie restlos aufarbeiten kann, machen aus verantwortungsbewussten Minderheiten-Sprechern Märtyrer-Wärter mit ihrer permanenten moralischen Erpressung“.  Die Märtyrer-Wärter würden demnach eine gut praktikable Handhabung der eigenen Identität als Aufgabenerfüllung aufzeigen: „Es ist, so rufen uns die Märtyrer-Wärter zu, deine Aufgabe, die Erinnerung an die Ermordeten wachzuhalten. Deine Identität ist die des Rächers, des Gerechtigkeitssuchers, deine Philosophie heißt: Niemals vergessen!“. Stiegnitz kommt zu einer verblüffenden  Schlussfolgerung: „Ich bin davon überzeugt, dass die Märtyrer-Wärter nicht die vielgepriesenen Anfänge neuer Verfolgungen (ab) wehren, sondern diese – unbewusst oder bewusst, oder vielleicht insgeheim – wenn auch in einer milden Form, herbeisehnen“. Eine Überbetonung des Ethnischen sei gefährlich und menschenfeindlich.  Aus kosmopolitischen, identitätslosen Weltbürgern könne man keine schlagkräftige Armee schmieden, so Stiegnitz.13

4. Ein allgemeines Opfergedenken…
Eine Friedensregion Alpen-Adria (FRAA) wird man also mit einem „Märtyrer-Wärtertum“ nicht erreichen können. Einseitiges Opfergedenken mit seinem kollektiven Trauma könnte sogar als eine Legitimation für erneute Gewalt, wie in der Ukraine von der russischen Minderheit und vom „Mutterland“ Russland praktiziert, genützt werden. Bereits vor Jahren ist aufgefallen, dass Putin als Beschützer der Auslandsrussen auftrete und die russischen Minderheiten „erfolgreich“ an sich binde. Patriotismus und Nationalstolz schnellten in Russland in ungeahnte Höhen.14 Gibt es nicht auch in unserem Alpen-Adria-Raum vergleichbare vorerst (?) gewaltlose Praktiken? „Nachahmenseffekte“ der russischen Aggression könnten sich nicht nur in Bosnien, sondern auch bei uns bemerkbar machen.15 Der Kärntner Bevölkerung litt bereits unter den völkisch-nationalen Aggressionen in den Jahren 1918-1920 (Maister), 1938 (Hitler), 1945 (Tito) und in den 1970er Jahren (Udba).
Die feindseligen Ereignisse in der Ukraine, wofür neben dem „Mutterland“ Russland auch die separatisch orientierte russische Minderheit verantwortlich ist, müssten daher in Kärnten zu einem entschlossenen Umdenken bzw. zu einer Überwindung völkisch-nationaler Orientierung beitragen.
Ein völkisch-nationales Abrüsten würde uns das militärische Aufrüsten ersparen. Die Chancen für eine pazifistische, grenzüberschreitende Politik dürften größer geworden sein.

Ein allgemeines, gemeinsames, grenzüberschreitendes Opfergedenken würde die Alpen-Adria-Region in eine friedlichere Zukunft führen. Die Kärntner Konsensgruppe setzte bereits diesbezügliche Schritte.16 Aus Anlass des 80. Jahrestages der Aussiedlung von Kärntner Slowenen könnten weitere versöhnliche, pazifistische Schritte gesetzt werden.

 

 

1 Chronologischer Überblick der Geschichte der Kärntner Slowenen von 1848 bis 1983, in: Koroški slovenci v Avstriji včeraj in danes, Ljubljana 1984, S. 235; Autoren: Avguštin Malle, Borut M. Sturm u.a.

2 Stefan Karner, Kärnten im „ Dritten Reich“ (1938-1945), in: Ein Kärnten. Eine Lösung, 2012, S. 35 ff

3 https://www.rtvslo.si/kultura/drugo/slovenci-in-najvecji-organiza…, 16.10.2020.

4 Helena Jaklitsch, Verzeichnis der Opfer der revolutionären Gewalt bevor es zur Aufstellung der ersten Dorfwache gekommen ist, in: Temelj prihodnosti, Ljubljana 2015, S. 107 ff; https://www.zaveza.si/slovesnosti/druge-slovesnosti-ob-140-letnici-rojstva-dr-lambert, 19.9.2018, Abruf: 15.2.2022.

5 Es scheinen einige slowenische Christen-Opfer tatsächlich von einer Feindesliebe geleitet zu werden, die im Lukas-Evangelium propagiert wird.  Lukas 6, 27-38; siehe auch: Kronen Zeitung, 20.2.2022, S. 16 (Autor: Kardinal Christoph Schönborn).

6 Siehe: Entschließung des Europäischen Parlaments zum Gewissen Europas und zum Totalitarismus vom 2.4.2009.

7 Novice, 18.2.2022, S. 19.

8 KZ, 16.3.2006, S. 23; Novice, 15.5.2009, S. 13 (Autor: Daniel Wutti); https://apsis.aau.at/, Abruf: 11.3.2021.

9 KZ, 8.1.2002, S. 6: 28.5.2003, S. 6.

10 Jože Možina, Slovenski razkol, Ljubljana 2019, S. 522, 532;
     Alfred Elste, Michael Koschat, Paul Strohmaier, „Opfer, Täter, Denunzianten“, Hermagoras 2007, S. 175, 197.

11 Marjan Sturm, Die Bedeutung der Erinnerungs- und Versöhnungskultur in Kärnten, in: Arbeit und Demokratie, Klagenfurt 2020, S. 215.

12 Prof. Daniel Wutti: „Ich bin in einer Kärntner slowenischen Familie aufgewachsen, in der die Aussiedlung von Kärntner Slowenen immer wieder ein Thema war. Das wirkte natürlich auf mich. Es handelt sich um ein Thema, das in der Volksgemeinschaft sehr präsent ist. Es ist einfach gesagt, ein Teil unseres Lebens und das habe ich in meiner Arbeit untersucht“. Quelle: Novice, 8.11.2013, S. 6, 7.

13 Peter Stiegnitz, Die Märtyrer-Wärter, Wien-Klosterneuburg 1995, S. 13, 26, 28, 35, 53, 200.

14 Die Presse, 8.3.2014, S. 2; 3.5.2014, S. 2; 25.10.2014, S. II (Spectrum).

15 Diese „Nachahmenseffekte“ in Bosnien werden von Valentin Inzko befürchtet. Er schlägt daher vor, Bosnien-Herzegowina rasch in die EU aufzunehmen. Quelle: KZ, 3.2.2022, S. 3. Anm.: Früher oder später werden aber die Nachahmenseffekte der russischen Aggression und anderer Nationalisten auch die EU gefährden!

16 Die Kärntner Konsensgruppe organisiert alljährlich in Völkermarkt ein gemeinsames Opfergedenken für gefallene Kärntner Abwehrkämpfer und Kämpfer um die Nordgrenze.
In diesem Sinne nahmen Josef Feldner und Marjan Sturm am 5.11.2014 an einer Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung der Wanderausstellung „Aussiedlung der Kärntner Slowenen“ im Parlamentsgebäude teil. In einem offenen Brief, initiiert von Rudi Vouk und Peter Gstettner, wurde die Einladung „an die Zwillinge Feldner/Sturm“ als Provokation kritisiert. Diese Kritik wurde danach u.a. unterstützt von: Valentin Inzko, Angelika Mlinar, Sonja Kert-Wakounig, Marjan Pipp, Karel Smolle, Valentin Oman, Horst Ogris. Quellen: Novice, 31.10.2014, S. 5; 7.11.2014, S. 3. http://nsks,at/?p=3107, 5.11.2014.